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Vom Rande Europas

■ Die Unabhängigkeit der Ukraine wirft mehr Probleme auf, als sie löst

Vom Rande Europas Die Unabhängigkeit der Ukraine wirft mehr Probleme auf, als sie löst

Die Ukraine hat sich für die Unabhängigkeit entschieden und einen neuen Präsidenten gewählt, der der alte geblieben ist. Leonid Krawtschuk — in dem Heer der „Opportunisten der letzten Stunden“ immer noch ein herausragendes Exemplar skrupellosen Adaptionsvermögens. Bis zur letzten Minute Funktionär der KP, mutierte Krawtschuk vom Unionsbewahrer zum lautstarken Vorbeter ukrainischer Eigenstaatlichkeit. Nichts gegen das berechtigte Verlangen der Ukraine nach Souveränität. Doch wie kein anderer symbolisiert Krawtschuk Risiken und Perspektivlosigkeit, die mit dem Eintritt der Ukraine in die internationale Staatengemeinschaft einhergehen

Die Unabhängigkeit besiegelt nun endgültig die Gorbatschowschen Unionsphantasien. Längst ein alter Hut. Schwerer wiegt dagegen die Zäsur, die der Austritt gegenüber Rußland und den Russen so kraftvoll dokumentiert. Aus der Gegnerschaft zum Zentrum wurde im Handumdrehen eine noch latente, aber spürbare Animosität gegenüber Rußland. Eine — zugegeben — tragische, aber dennoch gemeinsame Geschichte verknüpfte die beiden größten slawischen Völker über das letzte Jahrtausend. Von Kiew, der „Mutter der russischen Städte“, nahm die Gründung des Moskauer Reiches seinen Ausgang. Von hier aus flüchteten die Russen in die unwirtlichen Sümpfe des Nordens. Das wird ihnen heute bewußt, ein Stein nach dem anderen wird aus ihrer Identität herausgebrochen. Das schmerzt. Noch vor drei Jahren retteten sich die ukrainischen Intellektuellen vor dem geistigen Erstickungstod ins liberalere Moskau. Heute nun verkehren sich die Ränder. Die Ukraine, zu deutsch „am Rande“, so prägte es die russische Sicht, tritt jetzt zur Reversion an. Die Unabhängigkeit verändert die geopolitische Lage Ostmitteleuropas einschneidend. War es Rußland, das unter größten Mühen und im Hader mit seinen eigenen widersprüchlichen Traditionen den „Weg nach Europa“ suchte, findet es sich nun unversehens an den Rand gedrängt. Zwischen Rußland und Europa liegt nun die Ukraine. Sie zieht es ebenfalls nach Europa, ihre politischen Vertreter formulieren das höchst selbstbewußt. Da tut sich eine ungesunde Konkurrenz auf, die für Europa explosiv werden könnte. Krawtschuk ist nur ein Ersatzsteuermann, der schon am Start das Ziel nicht mehr im Auge hat. Aus dem innenpolitischen Konfliktpotential könnten sich Kräfte herauskristallisieren, die die alten antirussischen Ressentiments des Westens wieder wachrufen, und damit hausieren gehen. Historische Kontinuitäten werden da gehandelt, die die Ukraine als „natürlichen“ Verbündeten aller Gegner Rußlands begreifen. Unabhängigkeit ja, zurück nach Europa, aber nicht ohne Rußland. Das muß der Westen zur Ausgangsbedingung machen. Klaus-Helge Donath

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