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Togo: 98 Tage Demokratie

■ Togos Militär hat Joseph Kokoh Koffigoh, Ministerpräsident der Übergangsregierung, weggeputscht

Berlin (taz) — Nicht einmal 100 Tage Gnadenfrist hat man ihm gelassen. Kokoh Koffigoh ist von der Armee Togos gestürzt worden, 98 Tage nachdem er das Amt des Ministerpräsidenten übernommen hatte. Meuternde Soldaten drangen gestern früh um halb sieben in das seit mehreren Tagen von ihnen belagerte Regierungsgebäude ein und verkündeten wenig später, der Premier sei in ihrer Gefangenschaft. Durch die Straßen der Hauptstadt Lomé hallte Maschinengewehrfeuer. Siegeserklärung der Putschisten: „Die Gefühlsduselei hat zu lange gedauert.“

Koffigohs Amtszeit endet, wie sie begann — unter der Fuchtel eines Militärapparates, den Diktator Gnassingbe Eyadema während seiner 27jährigen Herrschaft zu einem willfährigen Machtinstrument ausgebaut hatte. Der Premier erhielt sein Amt in der Nacht zum 27. August, gewählt von der souveränen Nationalkonferenz, welche gerade die diktatorischen Befugnisse Eyademas abgeschafft hatte. Es war eine turbulente Nacht. Eyadema hatte gerade die Auflösung der Nationalkonferenz dekretiert, Armee-Einheiten in Alarmbereitschaft waren in Lomé aufgefahren. Gegen sie standen mit Steinen bewaffnete Volksmilizen aktionsbereit, rekrutiert aus den Slumbewohnern der Hauptstadt. In dieser Bürgerkriegsstimmung entschied sich die Nationalkonferenz zur Flucht nach vorn und wählte den stillen Rechtsanwalt Koffigoh zum Premierminister, der mit weitreichenden Vollmachten und unter Mitarbeit eines „Hohen Rates der Republik“ (HCR) die Demokratisierung Togos bis zu freien Präsidentschaftswahlen im Juni 1992 organisieren sollte.

Es war eine eher überraschende Entscheidung. Hervorgetan hatte sich der 1943 geborene Jurist, nach einem Studium in Frankreich Ende der 70er Jahre nach Togo zurückgekehrt, zuvor wenig. Seinen Eintritt in die Politik markiert der 20. Juli 1990, als er zusammen mit anderen Anwälten im überfüllten Hinterzimmer eines Restaurants in Lomé die Togolesische Menschenrechtsliga mitgründete. „Es war keine Geheimversammlung“, erinnerte er sich später an diesen Tag. „Der einzige Ausländer unter uns (ein Franzose) hatte sogar einige Freunde zu dieser Gründungsversammlung eingeladen — togolesische Polizisten. Unsere Aktivisten waren sprachlos, als ein junger Leutnant in Zivil, uns allen wohlbekannt, zur Versammlung auftauchte. Auf unsere Aufforderung hin unterschrieb er die Teilnehmerliste und wohnte der Veranstaltung bei, ohne jedoch ein Wort zu sagen.“

Die Liga und die ihr nahestehende Oppositionsgruppe „Demokratische Konvent der Afrikanischen Völker“ wurden zu Koffigohs politischer Heimat und standen gleichzeitig im Zentrum der Streiks und Massendemonstrationen für Demokratie, die zwischen Februar und April dieses Jahres das Ende der Diktatur einläuteten. Koffigoh nahm an der Nationalkonferenz teil, die beginnend am 8. Juli alle politischen Parteien, Oppositionsgruppen und Exilpolitiker vereinte und zum Tribunal der Eyadema-Diktatur wurde. Angetreten, um Aufklärung über die Folterlager und die Verschwundenen zu schaffen, fand er sich schließlich am Ende der Konferenz als Premierminister wieder.

In den nächsten 98 Tagen machte Koffigoh sich daran, die absolute Macht der Militärdiktatur zu brechen. Ermittlungen gegen Folterer in der Armee begannen, Prozesse wurden angestrengt. Der ungehinderte Zugriff des Militärs auf die Finanzmittel des Staates — hauptsächlich Zolleinnahmen — wurde beendet. Es war diese letzte Entscheidung, die am 1. Oktober zur ersten einer Reihe von Militärrevolten führte, mit denen die alten Machthaber sich gegen den Entzug ihrer Privilegien wandten.

Schon damals wurde klar, daß der formell entmachtete Ex-Diktator Eyadema immer noch weitaus größere reale Macht besaß als die junge demokratische Regierung aus Menschenrechtsaktivisten und Anwälten. Es war Eyadema, der am 1. und wieder am 8. Oktober die rebellierenden Soldaten in die Kasernen zurückrief. Es war nochmals Eyadema, der, obwohl am 12. Oktober formell vom Posten des Oberkommandierenden der Streitkräfte abgesetzt, Koffigoh zu Kompromissen zwang und gleichzeitig den Generalstabschef der Armee, Bassabi Bonfoh, zur Zusammenarbeit mit der Regierung überredete. Nachdem es am 28. Oktober zu schweren ethnischen Unruhen im Norden Togos kam und am 2. November der Versuch einer Gruppe hoher Militärs, Koffigoh zu kidnappen, vereitelt wurde, war es schließlich wieder Eyadema, der am 10. November den Premierminister und den Vorsitzenden des HCR in seiner Residenz versammelte und mit ihnen einen „dringenden Appell an die politischen Parteien und Interessenverbände“ zur Wahrung des Friedens redigierte.

Zwei Wochen später kam die finale Konfrontation. Während Koffigoh sich in Paris aufhielt, beschloß die Interimsregierung am 26. November das Verbot der ehemaligen Staatspartei RPT, die gerade einen Kongreß abgehalten hatte. Das weitere ist bekannt: Wiederholte Militäraufmärsche in Lomé, Vermittlung Eyademas, französischer Truppenaufmarsch in Benin, Zusage Koffigohs einer Kabinetttsumbildung und schließlich gestern die vollständige Machtübernahme der Putschisten.

Ist Togos demokratischer Frühling nun zu Ende? Es ist kaum vorstellbar, daß die Nachbarstaaten und auch Frankreich einer Restauration der Diktatur zustimmen werden. Eyadema weiß, daß er die Demokratisierung letzendlich nicht verhindern kann, ohne die gerade wieder angelaufene Entwicklungszusammenarbeit mit Europa und den USA zu gefährden. Und Togos Demokraten schweigen nicht: Edem Kodjo, ehemaliger Generalsekretär der „Organisation Afrikanischer Einheit“ (OAU), hat bereits zum Generalstreik aufgerufen. Dominic Johnson

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