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Stasi in Thüringen: „Wanzen im Talar“

Das Stasi-Erbe der Kirche am Beispiel Thüringen/Gera  ■ Von Klaus Wolschner

Bremen (taz) — Heute abend werden die Gemeindemitglieder der St.- Ursula-Kirche in Gera-Lusan über das ZDF erfahren, daß ihr Gemeindepfarrer Helmut Egert bei der Staatssicherheit als „IM Helmut“ geführt wurde. Obwohl die Synode schon vor Monaten einen Überprüfungsantrag bei der Gauck-Behörde gestellt hatte, mußte der Fernsehjournalist Christian Berg aus Bremen nach Thüringen fahren, um Licht in das dunkle Kapitel von Stasi und Kirche zu bringen. Die Namen der zu Überprüfenden hatte die thüringische Landeskirche an die Gauck-Behörde gegeben. Heute sollte der Stichtag sein.

Was bewegt die Kirche, das Tuch des Schweigens über die eigenen Verstrickungen zu decken? Der thüringische Landesbischof Werner Leich, in den 80er Jahren als konservativer Vertreter des Kirchenbundes gegen das Umwelt- und Friedensengagement der Jungen Gemeinden eingestellt, will bis heute nicht wissen, wie die Staatssicherheit die Interna aus dem Bischofssitz erfuhr. „Wanzen vielleicht“, spekuliert Leich vor der Kamera. Das wäre für die Kirche am einfachsten. Dieser demonstrativen Harmlosigkeit und Naivität setzt der harte Schnitt der Fernsehkamera das Interview mit dem Führungsoffizier entgegen, der auch den früheren Ost-CDU-Generalsekretär Kirchner betreut hatte.

Wanzen? „Das wäre eine Entweihung der Kirchenräume gewesen“, weist der Stasi-Offizier die Unterstellung zurück. Nein, Gottesmänner haben die Stasi flächendeckend informiert. Oft „bedurfte es nur eines leisen Anstoßes“. Wie viele Thüringer Oberkirchenräte waren im Stasi-Dienst? „Vier“, sagt der Stasi- Offizier. Er selbst hatte mit zweien zu tun. Das Gegenlicht bei dem Interview verdunkelt seine Gesichtszüge, klar erkennbar ist dennoch: Der Stasi-Mann ist den Kirchen-Duckmäusern weit überlegen gewesen.

Oberkirchenrat Christoph Thurm hat sich nach Baden-Württemberg abgesetzt. Der Protestant hat die Stasi-Gespräche „hingenommen als Dienstpflicht“. Man glaubte ja, daß man sich länger mit diesem Staat arrangieren müsse. Daß die Stasi ihn als IM geführt hat, kann er sich nicht vorstellen, sagt er. Die Stasi-Akten, in die der Journalist Einblick gibt, beweisen das Gegenteil. Einig war sich Kirchenrat Thurm gegen die Umweltinitiative des Michael Beleites, der vergeblich in der Kirche über die Gesundheitsgefahren des Uranbergbaus informierte. Bis in persönliche Details hinein haben sich die Stasi-Offiziere bei den IM-Pfarrern sachkundig machen können, um daraus ihre „Kirchenpolitik“ zu entwickeln. Es war die Stasi gewesen, die Christoph Thurm im Gespräch ermuntert hatte, sich um das Amt des Oberkirchenrates zu bewerben — die Stasi hatte sich umgehört und konnte ihn informieren, daß seine Chancen gut stünden. Thurm gab Finanzprobleme wegen eines zweiten Umzuges als Hinderungsgrund an — die Stasi beruhigte, da werde man ihrem „IM Bruno Köhler“ schon helfen. Und wenn Biermann-Lieder gesungen werden sollten bei der Jungen Gemeinde, dann waren sich eben Stasi und der Kirchenmann einig.

Beispiel zwei: In Gera-Lusan wohnen der Pfarrer Helmut Egert, bei der Stasi als „IM Helmut“ geführt, und Stasi-Opfer Pfarrer Schilling Wohnung an Wohnung. „Die Gemeinde bekommt den Segen mal vom Stasi-Opfer, mal vom Stasi- Mitarbeiter“, berichtet der ZDF- Film trocken und zeigt den Stasi- Pfarrer fromme Lieder singend mit der Klampfe. Die Kirchenleute wurden nicht schriftlich verpflichtet, bei ihnen waren die Übergänge von Dienstgesprächen zu Stasi-Mitarbeit fließend. Pfarrer Schilling sagt, was die Grenze war: Konspiration. Wenn er Gespräche mit der Stasi hatte, dann sagte er es „Hinz und Kunz“ hinterher. Wer sich auf das konspirative „Geben und Nehmen“ einließ, wurde von der Stasi als IM geführt. Neun Oberkirchenräte in Thüringen, 11 Superintendenten, insgesamt 43 Personen aus der Kirchenspitze.

Daß sein Pfarrerkollege Helmut Egert über ihn konspirativ der Stasi ausplauderte, was die Stasi wissen wollte, erfuhr Pfarrer Schilling erst als Mitarbeiter des Bürgerkomitees zur Auslösung der Staatssicherheit. Aber auch Schilling schwieg vor der Gemeinde, schweigt bis heute abend. Mit der Tatsache konfrontiert, daß die Stasi-Tätigkeit seines Pfarrerkollegen öffentlich gemacht werden soll, stottert Schilling. Verdrängungslust bei den Opfern?

Die Pfarrer unter sich wissen die Wahrheit seit einigen Wochen, die Gemeinde nicht. „Unsere Gemeindemitglieder haben dieses drängende Problem nicht“, sagt Pfarrer Egert alias „IM Helmut“ mit seinem sorgenzerfurchten, frommen und zugleich treuen protestantischen Gesicht in die Kamera.

Mittwoch, 4.12.1991, ZDF, 22.10 Uhr: Christian Berg, „Wanzen im Talar“

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