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Köder für Olympia

■ Der NOK-Chef der UdSSR will trotz des Zerfalls der Union um jeden Preis ein gemeinsames Olympia-Team stellen

Berlin (dpa/taz) — Die Ukraine soll ein selbständiger Staat werden, entschied das ukrainische Volk per Abstimmung. Und ein selbständiger Staat will — so fürchtet die Union — auch einen selbständigen Sport aufbauen. Zwar hatten zwölf ehemalige Sowjetrepubliken (ohne die bereits unabhängigen Balten-Staaten) sich gerade entschieden, bei den Olympischen Spielen in Albertville und Barcelona noch einmal mit einem gemeinsamen Team anzutreten. Der Präsident des Nationalen Olympischen Komitees (NOK) der UdSSR, Witali Smirnow, feierte diese Entscheidung überschwenglich als einen „Sieg der Olympischen Bewegung“. Sollte die Union durch die sich offenbar abspaltende Ukraine endgültig auseinanderbrechen, ist jedoch abzusehen, daß auch der Sport die Sache nicht mehr zusammenhält und völlig neu organisiert werden muß.

Der drohende Tod des Sportgiganten UdSSR treibt das altgediente IOC-Mitglied Smirnow zu ungeahnten Aktivitäten: Quasi über nacht hat ihn ein bemerkenswerter Geschäftssinn überkommen. Er orderte für eine Million Dollar Sportgerät und Kleidung aus dem Westen für das Olympia-Team — viele bunte Olympia-Köder. „Dabei hat uns niemand auch nur einen Rubel oder Dollar geschenkt“, sagt Smirnow. Die Anzahlung für die Winter-Olympia-Teilnahme sei ebenfalls erfolgt.

Allerdings fehlt nach seinen Angaben noch eine Million Dollar für Barcelona. Um sie zu beschaffen, hat Smirnow Kaufleute im Auftrag des NOK in die Schweiz und nach Japan geschickt, damit sie dort die Methoden der Vermarktung lernen. Sie sollen im nächsten Jahr 250 Millionen Mark) für die olympische Idee erwirtschaften. Wie, ist noch schleierhaft.

Zu Smirnows Plänen gehört, NOK-eigene Sportgeschäfte in Moskau, St. Petersburg, und Rostow am Don zu eröffnen und — ähnlich wie im Westen — Lotterien einzurichten. Die Präsentation eines neuen sowjetischen Olympia-Emblems soll am 18.Dezember „mit großem Pomp“ ebenso Geld bringen wie die Bitte um Spenden bei den jungen Sowjetmillionären. Der NOK-Chef verdrängt ob seiner Olympia-Manie auch die gravierenden politischen Probleme seines Landes. „Ja, die Sowjetunion ist praktisch auseinandergefallen, aber wir können als Verband der ehemaligen Sowjetrepubliken unter der olympischen Fahne und dem olympischen Wappen antreten.“ Daß die sowjetische Staatsbank vollkommen pleite ist, scheint Smirnow keine Kopfschmerzen zu bereiten.

In der mächtigsten Sportbehörde der Ex-Sowjetunion „Goskomsport“ sieht man die Euphorie des NOK-Chefs mit Grauen. „Falls unsere Konten gesperrt werden, ist es um den sowjetischen Sport geschehen“, sagt der sowjetische Sportminister Nikolai Russak, dessen Behörde demnächst geschlossen oder umfunktioniert werden soll. „Wer soll dann die Wettkämpfe und das Training bezahlen?“ Für die großen Pläne Smirnows hat er nur ein Kopfschütteln übrig. miß

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