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Kroatien gesteht Serben Autonomie zu

■ Die serbische Minderheit Kroatiens soll nach Kriegsende Autonomierechte haben/ Kroatien befürchtet Armeeangriff aus Bosnien-Herzegowina/ Massendesertion serbischer Reservisten

Zagreb / Belgrad (taz/ap/afp/dpa) Das kroatische Parlament hat am Mittwoch ohne Gegenstimme ein Statut für nationale Minderheiten der Republik erlassen. Vor allem Bonn, wo gestern der kroatische Präsident Franjo Tudjman zu einem offiziellen Besuch eintraf, hatte dies zur Voraussetzung für die diplomatische Anerkennung Kroatiens gemacht, das sich am 8. Oktober für unabhängig erklärt hat. Das neue Schutzgesetz sieht u.a. vor, daß Minderheiten nach einer Quotenregelung in Parlament, Regierung und Obergerichten vertreten sein müssen, sofern sie mindestens acht Prozent der Gesamtbevölkerung ausmachen. Dies trifft in Kroatien allein auf die 560.000 Serben, nach der jüngsten Volkszählung 12,2 Prozent der Bevölkerung, zu. Kleinere Minderheiten erhalten zusammen fünf Abgeordnetensitze. Weitgehende Selbstverwaltungsrechte werden der serbischen Bevölkerung in Gemeinden zugestanden, in denen sie aufgrund der Volkszählung von 1981 mehr als 50 Prozent ausmachen. Das Gesetz soll jedoch erst in Kraft treten, wenn der Krieg in Kroatien beendet ist und nachdem in den überwiegend serbisch besiedelten Regionen, für die das Gesetz politische und kulturelle Autonomierechte vorsieht, freie Wahlen stattgefunden haben.

Das Parlament beschloß bei seiner Sitzung am Donnerstag zudem, Stipe Mesić als Vertreter Kroatiens im jugoslawischen Staatspräsidium abzuberufen. Mesić hatte im Juni turnusgemäß den Vorsitz im Staatspräsidium übernommen, hatte sich aber — wie auch die Vertreter Sloweniens, Bosnien-Herzegowinas und Mazedoniens — Anfang Oktober aus dem höchsten Staatsorgan zurückgezogen, das seither ein serbisch dominiertes Rumpforgan ist.

In Jugoslawien bemüht sich der Sonderbeauftragte der Vereinten Nationen, Cyrus Vance, weiterhin die Chancen für eine Stationierung von UNO-Truppen zu eruieren. Inzwischen ist er nach Sarajewo, der Hauptstadt der Republik Bosnien- Herzegowina, geflogen, um mit dem dortigen Präsidenten Alija Izetbegović zu konferieren. Von dort kehrte er noch gestern überraschend wieder nach Belgrad zurück, um sich erneut mit dem serbischen Präsidenten Slobodan Milosević zu treffen. In Bosnien-Herzegowina hatten Vertreter der moslemischen Bevölkerung, die mit 44 Prozent der Gesamtbevölkerung die stärkste Nation der Republik darstellt, Blauhelme angefordert, nachdem in sieben Gegenden Bosnien-Herzegowinas „autonome serbische Gebiete“ ausgerufen worden waren. Serbische Politiker der Republik, in der 31 Prozent Serben wohnen, haben bereits angekündigt, daß auf UNO-Truppen das Feuer eröffnet würde.

Offenbar zieht die Armee im Norden Bosnien-Herzegowinas an der Grenze zu Kroatien Truppenverbände zusammen. Aus Angst vor einer Offensive hat die kroatische Nationalgarde nun die beiden letzten noch offenen Brücken über die Save, den Grenzfluß zwischen den beiden Republiken, gesperrt. Für den Fall, daß die jugoslawische Armee tatsächlich eine Offensive von Bosnien- Herzegowina, das sich offiziell für neutral im Konflikt erklärt hat, starten sollte, drohte der kroatische Generalstab die Sprengung sämtlicher Save-Brücken an.

In Kroatien selbst bombardierte nach Angaben aus Zagreb die jugoslawische Armee Stellungen beim Podravska Slatina, das an der letzten noch offenen Verbindungsstraße zwischen Zagreb und dem belagerten Osijek liegt. In Osijek, das seit dem Fall von Vukovar das Hauptziel der Artillerie ist und täglich beschossen wird, blieb es in der Nacht zum Donnerstag vergleichsweise ruhig. Zwei Menschen starben im Granatfeuer, 17 weitere wurden verletzt.

Weitere militärische Auseinandersetzungen werden aus allen umkämpften Gebieten Kroatiens gemeldet. Einzige positive Meldung von der Front: rund 200 serbische Reservisten sind kollektiv desertiert. Nach Angaben von 'Borba‘ vom Donnerstag haben sie ihre eigenen Einheiten beschuldigt, grausam und ohne Anlaß Kroaten umgebracht zu haben. „Dafür wollen wir nicht die moralische Verantwortung tragen“, zitiert die angesehene Belgrader Zeitung die Reservisten, die 60 Tage lang an der Front gekämpft haben.

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