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Sind Sie blaustichig?

■ Farberatung — für 200 Mark erkennen Sie Ihren Typ/Einkauf nur noch mit Farbfächer

“Sind Sie sich der Tatsache bewußt, daß Sie niemals eine zweite Chance erhalten werden, den berühmten 'ersten Eindruck' bei anderen zu machen? Bevor Sie überhaupt in der Lage sind, Ihren Mund zu öffnen, hat ihr Gesprächspartner bereits oft ein Urteil über Sie gefällt! Überprüfen Sie Ihre Körperhaltung, Ihren Haarstil, Ihr Make-up, Ihre Garderobe und Ihr Auftreten. Ihr Äußeres kann wichtigtuerisch plappern ('aufgedonnert') oder es kann unauffällig Selbstgespräche führen ('graue Maus') oder am schlimmsten, es kann mit sich selbst derart im Streit liegen, daß der Mensch dabei völlig erschlagen wird ('clownhaft')...“

Haben Sie jetzt erschrocken in den nächsten Spiegel geblickt? Ist der Groschen gefallen? Dann gehen Sie zu ihrer Bank, heben 200-300 Mark ab und melden sich bei einer „Farb-und Stilberaterin“ an. Sie hilft Ihnen, so zumindest verkündet der Firmen-Prospekt, daß „Ihr gewisses Etwas, um das man Sie immer beneidet hat, erst so richtig zur Geltung kommt“.

In Bremen hat sich Monika Jahn diesem Zweig verschrieben. Obwohl noch neu im Gewerbe, kann sie über Mangel an Kundschaft nicht klagen: Sie ist für mindestens drei Wochen im voraus ausgebucht. Ein Besuch bei ihr dauert zwei bis drei Stunden, erstreckt sich auch auf Brillen, Handtaschen, Make-Up, Schmuck und Haarfrisur. Sogar die zum Typ passende Blumen kann frau sich von ihr aufzählen lassen. Die „Farb- und Stilberatung“ findet hierzulande mehr und mehr AnhängerInnen und ist aus den USA importiert — im Original: „Colour me beautiful! „

Monika Jahn erklärt in wenigen Sätzen das Grundprinzip: Jeder Mensch auf der Welt, ob ob LateinamerikanerIn oder JapanerIn, gehört zu einem von vier Farbtypen, die nach den Jahreszeiten benannt sind: Frühling, Sommer, Herbst und Winter. Für jeden dieser vier Farbtypen gibt es Farbtöne, die jeweils nur mit diesem Typ harmonieren, sie werden auf einem Farbfächer (ca. 82 Mark) zusammengefaßt. Diesen Farbfächer kann die KundIn

„Colour me beautiful!“Foto: Tristan Vankann

bei der Farbberaterin erwerben und beim Einkaufen bei sich tragen, um sich zu vergewis

Hier bitte das Foto zur Farbberatung

sern, ob sie ein Kleidungsstück in „ihrer „ Farbe erwirbt.

Die Vierteilung der Menschheit entsprechend der Jahreszeiten wird sogar weiter vereinfacht: In „blaustichig“ (Winter/Sommer) und in „gelbstichig“ (Frühling/Herbst). Auch alle Farben der Welt werden eingeteilt nach „blau-“ oder „gelbstichig“. Die Erfolgsformel der Farabberaterin: Blaustichige Kleidung der blaustichigen Kundin. Und umgekehrt — im Falle der „Gelbgründigkeit“.

In der mehrstündigen Beratung soll die KundIn möglichst selbst darauf kommen, ob ihren Typ eher die kühlen, blaugrundigen, oder die warmen, gelb unterlegten Töne schmeicheln. Und ob besser Silber oder besser Goldschmuck zu ihr paßt. Ob sie tatsächlich zu den wenigen „Winter- Frauen“ gehört, die „wirklich“ blütenweiß und rabenschwarz tragen können. Außer der Hautfarbe sind für die Feinheiten der Typ-Bestimmung noch Augen- und Haarfarbe wichtig. Während der Beratung werden der Kundin solange von der Beraterin verschiedenfarbige Tücher um Hals und Schulter gelegt, bis sie selbst sehen und spüren kann, ob dieses oder jenes Tuch ihr ungeschminktes Gesicht nun „fad, müde, langweilig“ erscheinen, den „Damenbart hervortreten“ läßt oder: „interessant macht und belebt“.

Das Beratungs-Gewerbe hat jedoch nicht nur verschönernde, sondern auch seine unschönen Seiten. Monika Jahn: „Es gibt viele schwarze Schafe unter den Beraterinnen. Eine Freundin von mir hat sich austesten lassen, sie

sollte Sommer sein.“ Die entsprechenden Farbtöne hätten dieser Freundin jedoch überhaupt nicht gestanden.

Nur eine Woche dauert die Ausbildung zur „Farb- und Stilberaterin“. Vorausbildungen sind nicht erforderlich. Monika Jahn: „Eine Woche ist viel zu kurz. Farbberatung erfordert viel Training. Ich habe zum Beispiel meinen ganzen Freundes-und Bekanntenkreis durchgetestet, bis ich die Erfahrung hatte.“

Einige wenige Firmen teilen sich den Markt, sie haben das Ausbildungsmonopol für Beraterinnen, und sie binden diese an sich, in dem sie durch sie ihre Farbfächer, Bücher und Stoffproben absetzen.

Monika Jahn hat sich von ihrer Ausbildungsfirma ganz verabschiedet. Ihr war die Werbebroschüre der Firma, aus der die oben zitierten Sätze über den verpatzten „ersten Eindruck“ stammen, zu aggressiv. Monika Jahn hat ihre eigene Philosophie: „Ich vergleiche das so ein bißchen mit einer Schönheitsfarm. Da läßt man sich auch ein Stück verwöhnen und erfährt viel Neues über sich. Das gehört zum Sich-Wohlfühlen dazu.“ Nicht nur Frauen waren bei ihr, auch schon der eine oder andere Mann. Zum Beispiel der, der sich für viel Geld in den Doppelreiher geworfen hatte, sich aber seiner neuen eleganten Erscheinung noch nicht 100prozentig sicher war. Ihm konnte sie einen Rat mitgeben: Daß der elegante Gesamteindruck durch die billigen weißen Tennissocken doch sehr gestört werde. Barbara Debus

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