: „ZÄH WIE LENIN“ Von Philippe André
Stimmt! Zunächst ließ mich der geplante Abriß des großen Lenindenkmals im Berliner Bezirk Friedrichshain so kalt wie Packeis. Sicher, er war ein großer Revolutionär gewesen und soll sogar noch auf dem Sterbebett vor Stalin gewarnt haben. Das sprach für ihn. Doch andererseits: hatte er uns nicht irritiert mit Sätzen wie „Beim Übergang vom Kap. zum Komm. ist die Unterdrückung noch notwendig...“? Waren wir als junge, antiautoritäre und lustbetonte Menschen nicht geradezu abgetörnt worden mit Workaholic-Weisheiten à la „Lernen, lernen und nochmals lernen“? Noch heute beginnen meine Hände schon bei dem Wort „Kapitalkurs“ unwillkürlich zu zittern und wenn jemand „Was tun?“ sagt, kriecht kalter Schauer meinen Rücken entlang.
Aber nun schlägt mein Herz doch wieder für Lenin. Denn der eifrige Bautrupp, der im Auftrag des Berliner Senats am 8.November mit den Abrißarbeiten begann und vollmundige „acht Tage später fertig“ sein wollte, hat mittlerweile entnervt aufgegeben. Man wolle es nun mit einer bayrischen Firma versuchen, tönt es verschwitzt aus der Bauverwaltung des Senats. Ein Ende sei nicht absehbar. Dabei haben sie doch fast alles ausprobiert. Modernste Sägen, Wahnsinnsbohrer, neuerdings hat man es sogar mit Spezialkeilen versucht. So langsam wird's unheimlich, zumal sich der Mann, nachdem man ihm kürzlich brutal den Kopf abgehackt hatte, nun erst richtig im Boden zu verschanzen beginnt. Jetzt geht gar nichts mehr. Verständlich! Denn immerhin wuschen jüngst — vor seinen Augen gleichsam — Berliner Jusos liebevoll das Marx-Engels-Denkmal rein von allen antikommunistischen Graffitis. Aber Lenin soll fallen. Ungerecht ist das! Schließlich haben die beiden ihn doch erst angestiftet. Und über die Kosten solcherart Vergangenheitsbewältigung ist auch kein Sterbenswörtchen zu erfahren. Die letzten Worte des Senats waren „... ursprünglich veranschlagten 100.000 Mark weit überschritten...“ Das stimmt mißtrauisch. Die Verbissenheit der Stadtregierung im Fall Lenin erinnert fatal an eine Partygesellschaft, auf der sich die „Stimmungskanone“ bös' in Ton und Sache vergriffen hat und nun leider glaubt, „da offensiv durch“ zu müssen.
Doch es gibt noch eine andere Gefahr, die vor allen jenen zu denken geben sollte, die den Fall Lenin vernünftiger Weise umgehend ad acta historica legen wollen. Je länger sich der Abriß hinzieht desto stärker die Gefahr, daß Menschen womöglich noch in ferner Zukunft ein hartes Steak für „zäh wie Lenin“ halten wollen. Und die Kinder werden fragen „Duhu, was ist Lenin?“ Dann werden Eltern verstohlene Blicke tauschen, sich räuspern, und immer wieder wird einer der beiden die Zeitung falten und sagen: „Also gut, hört zu...“ Enden wird die Geschichte stets mit „... und dann haben sie sogar noch seinem Denkmal den Kopf abgehauen.“ Wird da in den Augen Berliner Gören nicht etwas aufblitzen? Anteilnahme? Mitleid vielleicht? Interesse gar? Also, vergeßt Lenin! Setzt ihm nicht mehr zu, sondern den Kopf wieder auf!
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