Müde von der Politik

■ Ein Gespräch mit Dr. Valentin V. Lazoutkin, dem Generaldirektor des sowjetischen Staatsfernsehens „Gosteleradio“

taz: Was hat sich im Fernsehprogramm des staatlichen Gosteleradios seit den Ereignissen im August geändert?

Lazoutkin: Seit dem Putsch hat sich vieles gewandelt. Wir strahlen keine ideologischen Produktionen mehr aus, wir dienen keiner Partei mehr. Früher strahlten wir Bildungsprogramme zur Geschichte der Partei aus, aber schon in den letzten Jahren gab es solche Sendungen nicht mehr. Zum ersten Mal in der Geschichte des sowjetischen Fernsehens haben wir zu dem diesjährigen 7.November, also anläßlich des früheren Feiertags der Großen Sozialistischen Oktoberrevolution, im ganzen Monat keinerlei Material über Lenin gezeigt.

Was zeigen Sie denn statt dessen — Informationen oder Ablenkung?

Das Volk ist schon sehr müde von der Politik, und davon gibt es derzeit sehr viel auf dem Bildschirm. Es gibt Tage, an denen Sie vor dem Fernseher sitzen und die Knöpfe drücken, und auf allen Kanälen sind nur die sogenannten sprechenden Köpfe zu sehen.

Die Politik hat die Unterhaltung inzwischen zur Seite geschoben. Jetzt beginnt ein umgekehrter Prozeß. Politische Sendungen müssen schon ausreichend vertreten sein, aber in vernünftigen Mengen. Dabei darf sich das Fernsehen aber nicht am niedrigen Geschmack orientieren. Es ist keine Kunst, das einfache, unbegründete Lachen hervorzurufen. Unterhaltung wird oft auf den Dummheiten aufgebaut — bei Ihnen genauso wie bei uns. Wir interessieren uns deshalb für solche Serien wie ihre Lindenstraße. Dort werden die Probleme des Lebens mit künstlerischen Mitteln gelöst. Bei uns hat die Publizistik diese Form hinausgedrängt, es läßt sich mehr Publizistisches als Künstlerisches finden.

Also das Westfernsehen als Vorbild für Ihr zukünftiges Programm?

Wenn wir die öffentlich-rechtlichen Anstalten in Deutschland nehmen, so habe ich beinahe keinerlei Kritik an den Programmen. Aber bei den kommerziellen Stationen gibt es eben eine Orientierung auf die Mittelmäßigkeit, zum Beispiel auf Sex und alles, was mit den intimen Seiten des Lebens verbunden ist. So etwas ist eine Vergewaltigung der Gesellschaft. Es ist kein ausreichender Grund, so etwas auszustrahlen, wenn man damit nur die Ratings erhöhen will.

Sehen Sie denn Probleme für Ihr zukünftiges Programm, die jenen des Fernsehens hier entsprechen?

Nun, bei Ihnen wie bei uns gibt es immer einen Mangel an Geld, einen Mangel an Technik und einen Mangel an guten Drehbüchern. Interview: Ben Vart