: Für den Frieden nicht tüchtig genug
■ Mitten im Pazifischen Ozean gelegen, auf halbem Wege zwischen Tokio und San Francisco, spiegelt Pearl Harbor heute wie kein anderer Ort das schwierige Verhältnis zwischen den zwei Großmächten Japan...
Für den Frieden nicht tüchtig genug Mitten im Pazifischen Ozean gelegen, auf halbem Wege zwischen Tokio und San Francisco, spiegelt Pearl Harbor heute wie kein anderer Ort das schwierige Verhältnis zwischen den zwei Großmächten Japan und Amerika wider.
AUS HAWAII ROLF PAASCH
Als Warren Verhoff am Morgen des 7. Dezember 1941 statt der erwarteten Staffel amerikanischer B-17 Flieger plötzlich japanische Kampfbomber auf den Hafen von Pearl Harbor herunterstürzen sah, konnte er kaum ahnen, daß mit diesem Überraschungsangriff auf die US-amerikanische Pazifikflotte das „Amerikanische Jahrhundert“ beginnen sollte.
Denn das Alarmsignal des 21jährigen Funkers aus Missouri an Bord der Barkasse USS-Keosanqua kam zu spät. Nach neun Minuten war das gleich nebenan liegende Schlachtschiff USS-Arizona mit 1.102 Soldaten an Bord, von den Bomben und Torpedos der Angreifer zerstört, auf den Grund des Hafenbeckens gesunken.
Zwei Stunden später hatten die japanischen „Mitsubishi-Zero“-Bomber den Heimflug zu ihren draußen im Pazifik liegenden Flugzeugträgern angetreten. Zurück in Pearl Harbor blieb das brennende Inferno der amerikanischen Pazifikflotte mit 328 beschädigten Kampfflugzeugen und 21 zerstörten Kriegsschiffen, in dem 2.403 GIs den Tod fanden.
Doch mit dem raschen Untergang der USS-Arizona und ihrer Schwesternschiffe in dem als geschützt geltenden Hafen von Hawaii begann der Aufstieg Amerikas von einer isolationalistischen Großmacht zur global engagierten Weltmacht. Nach dem „Tag der Schande“ von Pearl Harbor zog Warren Verhoff in den 2. Weltkrieg, kämpfte in Korea und focht mit den amerikanischen Streitkräften in Vietnam. Noch einmal wollte sich Amerika nicht überraschen lassen.
50 Jahre später führen der 71jährige Veteran und andere Überlebende der Attacke auf Pearl Harbor amerikanische und japanische Touristen auf das „Arizona-Memorial“ über dem Rumpf des versenkten Schlachtschiffes, aus dem heute noch täglich eine Gallone Öl in das Hafenbecken quillt. Kommen die meisten Amerikaner an diesen Ort, um ihrer Opfer zu gedenken, so ist das Mahnmal für viele Japaner nur ein Zwischenstopp auf ihrer Reise zu den „Shopping Malls“ von Honolulu und dem Strand von Waikiki. Gemeinsam scheinen den beiden Besuchergruppen nur ihre Unkenntnis der historischen Hintergründe des hier Geschehenen und die von ihren Hälsen baumelnden Minolta-Kameras oder Sony-Camcorder.
„Die japanischen Geschichtsbücher haben einfach herausgelassen, wie aggressiv deren Streitkräfte wirklich waren“, weiß Warren Verhoff von der mangelhaften Vergangenheitsbewältigung jenseits des Pazifik zu berichten. Respekt für die Gedenkstätte, sagt der hochaufgeschossene Veteran traurig, zeigten nur noch die Alten. Einige jüngere amerikanische Touristen fragen ihre Führer dagegen manchmal nach den Delphinen, in dem Glauben, hier eine „Seaworld Show“ zu besuchen.
Der historische Wendepunkt von Pearl Harbor war so markant, die Schmach der Niederlage so groß, daß bis heute Gerüchte zur Erklärung der sträflichen Unachtsamkeit Amerikas im Jahre 1941 herhalten müssen. Präsident Roosevelt, so wird trotz des Mangels an Beweisen immer wieder behauptet, habe den japanischen Angriff damals bewußt hingenommen, um endlich den Eintritt der USA in den 2. Weltkrieg auch politisch durchsetzen zu können.
Aber auch das japanische Fernsehteam von „Asahi TV“, das sich an dem frischgestrichenen Mahnmal unter die kurzbehosten Touristen und Kriegsveteranen gemischt hat, scheint es auf der Suche nach einer Konspirationstheorie über die amerikanische „Falle“ von Pearl Harbor mit der Geschichte nicht allzu genau zu nehmen. Daß eine gründliche Untersuchung der Beschuldigungen gegen Roosevelt durch den US-Kongreß den Präsidenten nach dem Krieg von allem Verdacht befreite, scheint den japanischen Journalisten unbekannt. Nicht einmal Admiral Husband Kimmel, der zunächst gescholtene, heute aber weitgehend entlastete Kommandant der überraschten US-Pazifikflotte, ist ihnen ein Begriff.
So feiern denn historische Ungenauigkeiten und kontemporäre Unverschämtheiten zum 50. Jahrestag von Pearl Harbor ihre unheilige Allianz.
„Was die Japaner damals mit ihren Bomben nicht geschafft haben, erreichen sie jetzt mit dem Yen“ ist ein auch am Mahnmal oft gehörter Spruch. Schließlich braucht man zu dessen scheinbarer Untermauerung von Pearl Harbor aus nur auf die im Osten sichtbare Skyline von Honolulu zu zeigen, wo japanische Investoren seit Ende der 70er Jahre eine Hotelkette nach der anderen gekauft haben. „Das stinkt mir ganz gewaltig“, sagt Warren Verhoff, der heute gleich hinter dem Hafen in der Vorstadt von Pearl City lebt — und meint damit die mit den japanischen Immobilienkäufen in die Höhe geschnellten Grundstückssteuern für sein Eigenheim.
Denn Hawaii, jene pazifische Inselgruppe auf nicht ganz halbem Wege zwischen San Francisco und Tokio, ist nicht nur der Ausgangspunkt für den amerikanisch-japanischen Krieg gewesen, der 45 Monate später mit der Kapitulation der Japaner endete. Mit seinen Amerikanern japanischer Abstammung — die 1941 die Hälfte, heute rund ein Viertel der Inselbevölkerung ausmachen — ist der 50. Bundesstaat der USA auch das kulturelle und wirtschaftliche Bindeglied zwischen den beiden stärksten Volkswirtschaften der Welt.
Die Vorfahren dieser „Japanese Americans“ waren zwischen 1886 und 1907 nach Hawaii gekommen, um sich auf den Zuckerrohr- und Ananasplantagen jenen Lebensunterhalt zu verdienen, den sie als zweite oder dritte Söhne japanischer Bauern daheim kaum noch erwirtschaften konnten. Bald wurden ihnen von zu Hause die sogenannten „Postkartenbräute“ nachgeschickt. Die Kinder der 2. Generation (nisei) gingen bald in die englischen Schulen des damaligen „Territoriums“ und stellten 1920 bereits den größten ethnischen Wählerblock auf Hawaii.
Als müßten sie ihre Amerikanisierung erst noch beweisen, kämpften viele von ihnen im 2. Weltkrieg auf seiten der USA, vor allem im später für seine Heldentaten in Europa berühmten „42nd Regiment“, das den Durchmarsch der Deutschen in Monte Casino stoppte. Aus dem Krieg zurückgekehrt gingen die nisei mit Hilfe des sogenannten „GI-Bills“ an die Universitäten, studierten Jura und Medizin und stellen heute trotz ihrer sinkenden Anteils an der hawaiianischen Bevölkerung die wohl immer noch politisch einflußreichste Bevölkerungsgruppe.
Ihre Nachfolger sind heute jene japanischen Investoren, die seit Mitte der 70er Jahren ihren neuerworbenen Reichtum im Hotel- und Immobiliensektor des Inselparadieses gewinnbringend anlegen wollen. Sie kauften das „Royal Hawaiian“, das Juwel unter den Luxushotels, das „Sheraton Waikiki“ und den „Kona Country Club“.
Heute gehören ihnen 20 Prozent des Immobilienmarktes und 62 Prozent der Hotelbetten in Honolulu. Dann schickten sie jährlich 1,5 Millionen japanische Touristen nach Hawaii, um diese Betten zu füllen und in den ebenfalls erstandenen Shopping Malls ihre mitgebrachten Yen einzutauschen. Mit 350 Dollar pro Tag gibt der Tourist aus Tokio dreimal soviel aus wie sein Miturlauber aus Minneapolis oder Mönchengladbach.
Und seit neuestem lassen diese Investoren an allen tropischen Ecken und Enden Hawaiis Golfplätze errichten. Über die Hälfte der 29 Golfplätze auf der Hauptinsel Oahu sind in japanischen Händen. Weitere 40 werden mit japanischem Geld finanziert. Ist es doch für den Geschäftsmann aus Tokio mittlerweile billiger, zum Schwingen seines geliebten Golfclubs nach Hawaii zu jetten, als dem prestigeträchtigen Sport in Japan nachzugehen.
Es gibt kaum einen Einwohner Oahus, der — auf das amerikanisch- japanische Verhältnis angesprochen — nicht seine Geschichte über den berühmt-berüchtigten Spekulanten Genshiro Kawamoto erzählen will: einem der sechs reichsten Männer Japans, der in seiner nicht endenwollenden Luxus-Limousine über das Land fuhr, hier und dort auf ein Objekt zeigte und seine Unterlinge mit einem Koffer von Cash in die von ihm begehrte Hütte schickte. Meist mit Erfolg.
Keine Frage, so bedauert Investmentberater Wally Fujiyama, einige japanische Anleger hätten sich auf Hawaii gehörig daneben benommen. Für den auf Hawaii geborenen Japanese American hat Herr Kawamoto aus Tokio „noch weniger Klasse“ als der New Yorker Grundstücksspekulant Donald Trump. Vor allem die jüngere Generation japanischer Anleger, beklagt sich Fujiyama, hätten sich schon der amerikanischen Geldkultur angepaßt und investiere „nicht mehr für die nächste Generation, sondern nur noch für den nächsten Dollar“.
Doch nur selten ist in Hawaii die Kritik an den japanischen „Invasoren“ so sachlich und differenziert. Munter gehen da im Volksmund Fakten und Fiktion durcheinander. Plötzlich sind die Japaner wieder für alle Übel dieser Insel wie die Wohnungsnot verantwortlich, auch wenn der Anstieg der Hauspreise und Grundstückssteuern nur zu einem geringen Anteil von den Hotelkäufern aus Japan veursacht wurde.
Sehr zum Unwillen der Japanese Americans, die immer als erste befürchten müssen, Ziel einer neuen Runde des „japan-bashing“, der antijapanischen Resentiments zu werden; und das, obwohl, viele von ihnen schon in der zweiten Generation Amerikaner sind. Ende der 80er Jahre hätten sich viele Japanese Americans wieder einer politischen Zurückhaltung befleißigt wie in der Zeit vor dem 2. Weltkrieg, erzählt der Historiker Dan Boylan von den jüngsten Auswirkungen der antijapanischen Gefühle. Damals wurden sie gerade auf Hawaii als Spione des japanischen Imperialismus verdächtigt, obwohl sie hier im Gegensatz zum amerikanischen Festland während des 2. Weltkrieges nicht interniert wurden.
Doch nach dem Ausbleiben der japanischen Touristen während des Golfkrieges und der Halbierung japanischer Investitionen zwischen 1989 und 1991 werden die gestern noch ungeliebten Wirtschaftspartner aus dem Reich der aufgehenden Sonne in Honolulu plötzlich wieder umworben.
Ein ähnliches Muster der japanisch-amerikanischen Spannungen läßt sich auch in Washington erkennen. Nachdem die Bush-Administration auf die von japanischen Firmen produzierten Computer-Bildschirme eine Vergeltungssteuer von 63 Prozent erhoben hat, sind es die großen US-Computerfirmen Apple und IBM, die protestieren und nun der eigenen Regierung mit Produktionsverlagerung drohen. Wenn sich nach einer Studie des US-Kongresses vier Fünftel der amerikanischen High-Tech-Industrie aus japanischen Zulieferteilen nährt, wenn das Pentagon ohne die technologischen Bausteine der Angreifer von Pearl Harbor keinen Krieg mehr führen kann, dann bleibt für den wirtschaftlichen Vergeltungsschlag nur wenig Raum.
„Keiner versteht das besser“, sagt Professor Morrisson vom Ost-West- Zentrum der Universität Hawaii, „als wir hier im Pazifik“. Genau diese Erfahrung der gegenseitigen Abhängigkeit der ehemaligen Kriegsgegner will Hawaii in Zukunft vermarkten.
„Das Problem liegt in Washington und Tokio“
Mufi Hannemann, der Verantwortliche für Internationale Beziehungen im spät-kolonialen Regierungsgebäude neben dem Kapitol von Honolulu sieht seinen Inselstaat schon als „Genf des Pazifik“. „Wenn die Japaner mit ihren Investitionen nicht mehr hierherkommen“, so der Sohn einer Samoanerin und eines deutschstämmigen Vaters, „dann gehen wir eben dorthin“.
Die Dienstleistungen der hawaiischen Consulting- und Architekturbüros, so hofft der Top-Beamte des Gouverneurs von Hawaii, werden im am schnellsten wachsenden Wirtschaftsraum der Welt zwischen Taiwan und Kalifornien in Zukunft hochgefragt sein. Die Bush-Regierung, findet Hannemann, sollte sich des kulturellen Know-hows der Hawaiianer im Umgang mit den Japanern viel mehr bedienen. „Schließlich wissen wir hier, wie man mit Geschäftsleuten aus Tokio einen Trinken geht und dabei über Sumo-Ringen redet.“ Wo der gegenwärtige Weltmeister in der bisher rein japanischen Sportart doch erstmalig aus Hawaii kommt.
Zwar mögen Streitereien über Grundstückssteuern und Golfplätze auf Hawaii einen größeren Teil der Lokalpolitik ausmachen und häufiger zu Ausfällen gegen japanische Investoren führen als andernorts. Davon abgesehen ist jedoch das gesellschaftliche Zusammenspiel zwischen Amerikanern, Japanese Americans und Japanern auf Hawaii im Vergleich zum US-amerikanischen Festland eher vorbildlicher Natur. Wenn es um das multikulturelle Miteinander des amerikanisch- asiatischen Bevölkerungsgemischs und das Verständnis der Aufeinanderangewiesenseins der USA und Japans geht, dann ist Hawaii hier ein durchaus fortschrittliches Experimentierfeld.
„Das Problem liegt in Washington und Tokio“, sagt Charles Morrisson im hoch über Honolulu liegenden Ost-West-Zentrum, „und ist darin begründet, daß in beiden Ländern die nötigen Strukturveränderungen mit dem Feind von gestern assoziiert werden“.
Für den japanischen Durchschnittstouristen am Strand von Waikiki soll Japan nach den Atombomben von Hiroshima und Nagasaki nun auch noch gegenüber den Reisimporten aus Amerika kapitulieren. Dem Veteran Warren Verhoff stinkt es hingegen ganz gewaltig, daß sich die Japaner seit 45 Jahren „von uns haben verteidigen lassen und wir zum Dank auch noch deren Kameras kaufen“. Mit ihrer Lektion aus dem Zweiten Weltkrieg, dem ihnen durch General McArthurs Verfassung auferlegten Pazifismus, scheinen die Japaner ungleich besser gefahren zu sein als die Amerikaner mit ihrer Lehre der weltweiten Wachsamkeit.
Kein Wunder, daß es am Mahnmal von Pearl Harbor heftigen Streit um die Teilnahme japanischer Kriegsveteranen an den Feierlichkeiten gegeben hat. „50 Jahre haben noch nicht gereicht, um alle Bitterkeit zu beseitigen“, erklärt einer der Touristenführer den Besuchern nach einem sonst durchaus ausgewogenen Film über die Hintergründe des Angriffs auf Pearl Harbor. Das vom „National Park Service“ geplante Motto: „Zeit für Erinnerung, Zeit zum Heilen“ sowie die geplanten Besuche japanischer Bomberpiloten mußten nach Protesten der Kriegsveteranen-Vereinigung zurückgezogen werden.
Um keine Japaner einladen zu müssen, hat Washington für die Feierlichkeiten ein grundsätzliches Ausländerverbot verfügt. „Das wäre schlimm für mich“, sagt Warren Verhoff, „wenn hier am 7. Dezember einer der japanischen Kriegspiloten von damals über der USS- Arizona stehen würde.“
Nach dem 50. Jahrestag von Pearl Harbor wird die Generation Warren Verhoffs und George Bushs jedoch langsam von der politischen Bühne Amerikas abtreten: „Die letzte Kohorte von Amerikanern, die nach der gemeinsamen Erfahrung der Großen Depression und des Zweiten Weltkrieges noch an das persönliche Opfer für die gemeinsame Sache glaubten“, wie sie der Politikprofessor Hugh Heclo beschreibt. Die Kämpfe, die danach folgten, ob in Vietnam — worum sich viele lieber drückten — oder daheim um die Bürgerrechte, führten statt zur Einheit zur Spaltung der Gesellschaft.
So steht denn hinter dem Gedächtnis an Pearl Habor wie hinter den wirtschaftlichen Spannungen zwischen der nach innen gewandten Großmacht Japan und der nach außen überdehnten Weltmacht USA für die Amerikaner immer noch die Frage: „Wer hat den letzten Krieg eigentlich gewonnen?“ Eine Frage, die allerdings mehr auf die gegenwärtige Verfassung Amerikas abzielt als auf die Vergangenheit.
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