Auch Notstromaggregate liefern Strom

Trotz vieler Probleme soll es mit dem öffentlich-rechtlichen Rundfunk in Brandenburg an Neujahr losgehen  ■ Von Karl-Heinz Stamm

Kommt man nach Potsdam und fragt nach dem Landtag, so stößt man auf verständnisloses Kopfschütteln. Die Heinrich-Mann-Allee hingegen kennt jeder. Nun kann die Unwissenheit der Preußen bezüglich des Regierungssitzes nicht als Zeichen mangelnder Ortskenntnis gedeutet werden, eher schon als Indiz dafür, wie schleppend der Föderalisierungsprozeß in den Köpfen der Menschen Einzug gehalten hat.

Auch beim Aufbau ihres Rundfunks haben sich die Brandenburger Zeit gelassen. Doch nun, drei Wochen vor dem öffentlich-rechtlichen Urknall in Brandenburg, soll alles schnell gehen. Hansjürgen Rosenbauer, der gerade erst auf dem Intendantensessel des „Ostdeutschen Rundfunks“ — so der umstrittene Name der Anstalt — Platz genommen hat, will sich nicht unter Zeitdruck setzen lassen. Vor der Landespressekonferenz in Potsdam, die in besagtem Landtag stattfand, gab er sich letzten Freitag betont gelassen. Es bleibt ihm auch gar nichts anderes übrig. Denn daß der Aufbau der Landesrundfunkanstalt in zeitlichen Verzug gekommen ist, hat nicht er zu verantworten. „Der Rundfunk“, so der Intendant, „ist zum Abenteuerspielplatz für Medienpolitiker geworden.“ Er macht jetzt aus der Not eine Tugend, das heißt er startet mit einer Art Notstromaggregat, dann werden Zug um Zug weitere Schritte folgen. „Zuerst fragen wir, was für ein Programm wir machen wollen“, dann werden peu a peu die Leute geholt. Trotzdem soll es an Neujahr losgehen. Zwar wird nicht alles perfekt sein, so Rosenbauer, „aber auch Notstromaggregate liefern Strom“.

Auch wenn nur zwei alte TV-Studios auf dem ehemaligen UFA-Gelände in Potsdam-Babelsberg zur Verfügung stehen, ganz aussichtslos, wie es auf den ersten Blick erscheint, steht es mit dem Rundfunk unterm roten Adler nicht. Denn mit „Antenne Brandenburg“ hat der einstige Kulturchef des WDR eine Hörfunkwelle, die sich mit einer täglichen Reichweite von 42 Prozent fast schon einer sensationellen Zuschauergunst erfreut. „Ich werde einen Deibel tun“, so der Hörfunkdirektor Gerhard Hirschfeld, „dieses Programm zu verändern.“ Nur am Sonntag soll es ein paar Korrekturen geben. Problematischer wird es beim zweiten Hörfunkkanal. Klar ist, daß es ein Informations- und Kulturprogramm sein soll. Auch der Chef steht schon fest. Es ist der noch amtierende Intendant des Funkhauses Berlin, Christoph Singelnstein. Da im Sendebereich aber sowohl der „Deutschlandsender Kultur“ als auch der Kulturkanal des SFB zu hören ist, setzen die Programmacher auf einen erweiterten Kulturbegriff. Bis entsprechende Gebäude in Potsdam gefunden sind, soll „Radio Brandenburg“ in der einstigen Rundfunkzentrale der DDR in Ost-Berlin produziert werden. Hörfunkdirektor Hirschfeld, einst Chefredakteur beim sozialdemokratischen 'Vorwärts‘, sucht fieberhaft nach Räumlichkeiten für die Übergangszeit, bis in circa vier bis fünf Jahren das Funkhaus auf dem DEFA-Gelände fertig ist. Aber auch da gibt es Probleme. Zwar ist ein Vorvertrag mit der Treuhand über ein Areal von 68 000 Quadratmeter bereits unterzeichnet, doch nun sieht es so aus, als wolle die Treuhand einen Rückzieher machen. Mehr Unterstützung seitens der Landespolitik wünscht sich denn auch der Hörfunkchef.

So gut wie fest steht, daß es ab 1. Januar ein gemeinsames Jugendprogramm von ODR und SFB geben soll. Ein neues Programm wird es sein. Weder das erst kürzlich vom SFB aus der Taufe gehobene „Radio 4 U“, noch das bei den Kids in Ost und West so beliebte „Jugendradio DT 64“ werden von den Brandenburgern übernommen. Die Redaktion soll paritätisch zusammengesetzt sein, d.h. mit Mitarbeitern aus Berlin und Brandenburg. Ein inhaltliches Problem gibt es noch zu lösen, denn die Jugendkultur in Berlin und diejenige in Prenzlau beispielsweise ist höchst unterschiedlich. Jetzt gibt es Überlegungen für die Regionen ein Fensterprogramm einzurichten.

Beim Fernsehen schien alles klar. Ein gemeinsames drittes Programm mit den Berlinern war bereits festgeklopft, ein Programmschema erstellt. Doch dann stockten die Verhandlungen. Nachdem SFB-Intendant von Lojewski den Kooperationswillen der Brandenburger in Zweifel gezogen hatte, gaben die ihm den Schwarzen Peter zurück. Ab 1. Januar 1992 wird jetzt das Kulturprogramm der ARD „Eins plus“, das nur über Satellit zu empfangen ist, in Brandenburg terrestrisch ausgestrahlt. Zusammen mit ein paar brandenburgischen Einsprengseln gibt es eine Art drittes Programm. Mit diesem Befreiungsschlag hat Rosenbauer jetzt Zeit bis Oktober 1992. Der SFB-Fernsehdirektor Horst Schättle und der neue ORD Fernsehchef Michael Albrecht müssen noch einmal an den Verhandlungstisch. Wir müssen die Regionen bedienen, so Rosenbauer, „sonst hätten wir in Brandenburg keinen Rundfunk gründen müssen.“ Das „Aufschalten“ von Eins plus hat den Vorteil, daß das um 15 Uhr beginnende Programm, kostenfrei ist und auch die Lizensen bereits abgegolten sind. Um 17.15 Uhr gibt es eigene Nachrichten, um 17.30 Uhr eine Stunde lang ein Kinderprogramm gemeinsam mit dem MDR, „Sandmännchen und so etwas“. Zwischen 19 und 21 Uhr setzen die Brandenburger dann auf Programme aus dem DFF-Bestand. „Ozon“ oder Gesprächssendungen aus Berlin-Adlershof sollen in Potsdam weiterleben. Erst um 21 Uhr wird wieder auf Eins Plus geschaltet.

Im ARD-Vorabendprogramm will der ORD-Intendant ein Regionalprogramm ähnlich der „Abendschau“ des SFB realisieren. Und am Gemeinschaftsprogramm will sich der ODR mit 2 Prozent beteiligen. 90 Anstellungsverträge sind bereits abgeschlossen worden, davon nur eine handvoll Wessis. Auch ist es gelungen, so der Intendant stolz, einige Mitarbeiter, die bereits zum MDR abgewander waren, nach Brandenburg zurückzuholen. Doch gemessen daran, daß der Rundfunk in Brandenburg einmal 700 Leute haben wird, ist das ein kläglicher Anfang. Jetzt soll der Verwaltungsrat seine Zustimmung über weitere 180 Mitarbeiter geben, denen 3000 Bewerbungen gegenüber stehen. Die generelle Linie des Senders ist aber, so Hörfunkchef Hirschfeld, „wenig festes Personal, viele feste freie und freie Mitarbeiter“. Magersüchtig soll die Anstalt nicht werden, aber schlank. Aus drei Quellen wird der ORD-Etat gespeist: Aus Werbung, Gebühren und der Anschubfinanzierung für den Rundfunk im Osten Deutschlands. Die ist auch nötig, denn: „Die 200 Millionen, ohne die kein Rundfunk zu machen ist, werden wir nicht aus eigener Kraft aufbringen können.“

Auch wenn sich Rosenbauer bei seiner Wahl vor dem Rundfunkrat als „rot mit grünen Einsprengseln“ bezeichnet haben soll, so wird die Parteienzugehörigkeit in Potsdam keine Rolle spielen. Lediglich nach einer Mitarbeit beim Ministerium für Staatssicherheit wird gefragt, aber eine Fragebogenaktion a la Mühlfenzl soll es nicht geben. „Was zählt, ist Professionalität.“ Binnenpluralismus in den Redaktionen und Außenpluralismus im Programm, das macht für den frischgekürten Intendanten guten Rundfunk aus. Einen roten Adler der dem Parteienproporz entsprechend eine schwarze und eine gelbe Socke trägt, womöglich mit einer grünen Feder, das will er nicht.