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Biedermeier vor Stahlträgern

Giuseppe Verdis „Luisa Miller“ in Amsterdam von Werner Schröter  ■ Von Frieder Reininghaus

Anfang 1989 produzierte das Düsseldorfer Schauspielhaus (zusammen mit den Bochumer Symphonikern) ein bemerkenswertes Musik-Projekt: Wagner und... Der deutsch-schweizerische Komponist Klaus Huber aus Freiburg hatte sich in einem spröden Stück mit Versatzstücken des „Weltbildes“ und mit den Animositäten Richard Wagners auseinandergesetzt, mit einigen Erscheinungen des Wagner- Kults und der Idee eines künstlerischen „Gegengiftes“. Gegen eine von Werner Schröter inszenierte Folge von Schlüsselszenen aus den Hauptwerken des „Bombentalents mit schäbigem Charakter“ (Thomas Mann) murrte, argumentierte, brodelte Hubers „spes contra spem“. Schröter ließ die edel herausgeputzten Hauptfrauen Wagners sterben. Ließ eine nach der anderen inmitten der rauschenden und betörenden Liebestodmusik zugrunde gehen, an der Rampe niedersinken und rücklings mit einem über den Bühnenrand hängenden Kopf tote Frau sein: Senta, Isolde, Brünnhilde, die wie Elsa oder Kundry ja nur durch Vernichtung erlöst werden. Die Szene war und blieb allzeit offen für die unterschiedlichsten Vorgänge — die ganzen langsamen Bewegungen vollzogen sich ohne jeden Schutz des Dunkels und ohne die Diskretion, die der sich schließende Vorhang gewährt.

Werner Schröter, der vorzugsweise am Düsseldorfer Schauspielhaus Frauenfiguren zur Strecke bringt, der einst Palermo oder Wolfsburg filmte, dann den Tod der Maria Malibran rekonstruierte (der 1836 so jung verstorbenen legendären Sängerin), zuletzt Ingeborg Bachmanns Malina für sein Filmschaffen nutzte, dieser Werner Schröter hat nun auf die auch beim Wagner-Projekt praktizierte Weise an der Nederlandse Opera ein ganz anders geartetes Stück in Szene gesetzt: Giuseppe Verdis Luisa Miller (nach Friedrich Schillers bürgerlichem Trauerspiel Kabale und Liebe). Wieder hat Alberte Barsacq die Frauen der Geschichte in Biedermeier- und Gründerzeit-Kleidern aufblühen und aufwallen lassen, die Männer unter Zylinder gezwängt und in Sonntagsstaat der angeblich guten alten Zeit. Oder in die schmucken historischen Uniformen, die zur modernen Bühnenarchitektur wie die legendäre Faust aufs Auge passen.

Gespielt wird im Amsterdamer Muziektheater in einem fünfstöckigen Treppenhaus vor drei Wolkenbildern, die freilich in keiner Weise an das Tirol des frühen 18.Jahrhunderts erinnern, an das Schiller und Verdi beim Abfassen ihrer Arbeiten dachten: ein Einheitsbühnenbild aus schlanken Stahlträgern und luftigen Eisentreppen (fast ohne Geländer) und dünnen Decken — die mittlere ist durchsichtig wie eine Glasplatte. Überhaupt wurde das Stück, bei dem ja so manches unausgesprochen bleibt und hinter den Kulissen spielt, gänzlich transparent gemacht. Der Regisseur hält es für eine „Denkkonstruktion“ und ein „innerliches Drama“. Verdi war da ganz anderer Meinung — für ihn bestand es aus „lebendigen Situationen und feurigen Gefühlen“; die finale Katastrophe kam ihm „wirklich erschreckend und mitleiderweckend vor“. Doch die betonte Langsamkeit aller Bewegung schafft fürwahr weder „lebendige Situationen“ auf der Bühne noch „feurige“ Figuren, sondern etwas ganz und gar Gekünsteltes. Die besonders schön herausgeputzten Frauen mag Schröter sichtlich besonders wenig.

Die Musik in Amsterdam war ganz und gar von Verdi. Carlo Rizzi, seit einem Jahrzehnt weltweit in Sachen italienischer Oper des 19.Jahrhunderts unterwegs, dirigierte das Nederlands Philharmonisch Orkest mit Kraft und Schwung. Er trieb die Musiker schon bei der von der Clarinette dominierten Ouverture zu einer Glanzleistung. Mit Peter Rose und Brent Ellis verfügt die Produktion von Het Muziektheater über zwei Vaterfiguren, die mit des Basses Grundgwalt (repsektive mit dem unter die Obrigkeit sich erst duckenden, dann allzusehr aufmuckenden) Bariton auftrumpfen. Kallen Esperian, die Luisa aus Chicago, verfügt in der Titelpartie über alle notwendigen Register — anrührend ihre Preghera, virtuos ihre Koloraturen, hochdramatisch ihr Festhalten am rechten Gefühl und leicht beschwingt ihr betörender Ton des Verliebtseins. Mit Neil Shicoff, mit diesem strahlend schön singenden Tenor, der aussieht wie ein italienischer Stubengelehrter, mit Neil Shicoff jauchzte sie dem Glück entgegen — und stemmte sich später verzweifelt gegen das Unglück durch feudalabsolutistische Willkür und bürgerlichen Ehrenkodex.

Die musikalische Seite der Luisa Miller-Aufführung in Amsterdam ließ so gut wie keine Wünsche offen: Sie geriet fulminant. Das vorwiegend amerikanische Sänger-Ensemble zelebriert, zaubert, ziseliert und zetert seinen Verdi rundweg überzeugend. Und die betonte Langsamkeit aller Bewegung auf der Bühne stört die Sängerinnen und Sänger nicht sonderlich dabei — freilich ist der einen schon einmal die lange Schleppe hinderlich, oder stolpert eine andere über den Rocksaum; die Schlagwaffen der Männer sind auch häufiger im Weg. Im Detail wirkt die Inszenierung wie ungeprobt. Aber, wie gesagt, das stört nicht sonderlich, weil die Augen ja einen opulenten Reigen schöner alter Klamotten vorgeführt bekommen, das milde wechselnde Licht im Treppenhaus, und ansonsten eine Aufführung, die sich dem Oratorischen so sehr annähert, daß man getrost die Augen schließen und sich dem Strom der Musik hingeben kann. Ob Wagner oder Verdi — für Schröter ist's wohl einerlei. Wie in Trance bewegt sich Luisa; wie in Trance scheint der Regisseur sie führungslos durch das Stück gleiten zu lassen: Sie stellt eben das So-Sein der liebenden und leidenden Frau dar.

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