: Eins, zwei — und haps!
■ Senatsrock: Stan Red Fox, die Barrawullo Band und Sangomar
Mit dem letzten Wettbewerbsabend der »Rock News '91« am vergangenen Donnerstag trennte sich die Berliner Rock-Bürokratie von einer Institution, die sich nach dem Verlust ihrer Publikumswirksamkeit kürzlich selbst für tot erklärte. Fünfzig Personen, die meisten von ihnen beruflich da, belebten wie eine Grafik der statistischen Normalverteilung den Saal, in dem sonst Freunde und Fan-Clubs Öffentlichkeit mimten. Den vorgeblichen Nachwuchs auf der Bühne — einige hätten die Eltern von »Lemonbabies« und »No Solo« sein mögen — focht die Abwesenheit der Welt bei der Präsentation schwarzer Musik zwischen afrikanischem High Life, James Last und Prince nicht an.
»Stan Red Fox«, mit Bass, Gitarre und Schlagzeug in klassischer Rockmanier instrumentiert, führten zu dritt vor, wofür Prince eine ganze Revolution braucht. Stur und groovy, wie gute Handwerker sind, spielten Trommler und Bassist dem Rüschenhemdträger Lars Rudolph zu, der an Saiten, Tasten, Ventilen und als Sänger das Geschehen bestimmte. Jäh kippte sein Falsettgesang zur Funkgitarre in Greinen um, illustriert durch handgespielte Tanzflur-Melodein und trompetetes Echo — quer durch den bunten Kosmos langhaariger Wahwah-Fantasien.
Ihre durchaus nicht frisch erfundene Wadenbeißer-Rhythmik — eins, zwei und haps!, bis die Knie wippen — produzierten Stan Red Fox so schön und souverän, daß Rudolph, als Trompeter in Freejazz-Formationen mit Peter Brötzmann bekannt geworden, auch »Backe Kuchen« hätte singen können, ohne daß das lustige Ziehen musikalischer Register im Stil von MTV-Bands Schaden genommen hätte — nur eben live und ohne doppelten Boden.
Elemente aus High Life und anderer populärer afrikanischer Musik vermengte die siebenköpfige »Barrawullo Band« um den gambischen Sänger Bubacar Jammeh. Die für westafrikanischen Pop typische, spätestens seit Paul Simons Kolonialware Graceland bekannte melodische Gitarre verband die gemischt europäisch-afrikanische Formation genrefest mit großem Trommelaufgebot — Kongas, Djembe und Schlagzeug —, heftigem Baßspiel, Rhythmusgitarre und flauen Keyboardeinlagen, die der Mixer rücksichtsvoll in ein anderes Kontinuum mischte.
Bassist Peter Cambell und die drei Trommler, die eine Improvisation an die nächste hefteten, versetzten das Publikum, namentlich die Geschäftsführerin des Etablissements, in Hoch- und Tanzstimmung. Freundlich erklärte Entertainer Jammeh vor jedem Song die in seiner Sprache gesungenen Texte (»The next song is called Mutti«), und es schien als wäre ihm bewußt, daß afrikanische Musik in diesem Wettbewerb bestenfalls als multikulturelles Alibi Preis-Chancen gegen Gitarrenmusik hat.
Nach 23 Uhr — die Luft war dicker, die Trommelfelle dünner geworden — mußten »Sangomar« spielen, die zu neunt eine Verbindung von senegalesischer und europäischer Musik suchten und nicht recht fanden. Der vollständig weiße Bläsersatz mutete an wie eine Animationsgruppe des Club Mediterranee. Die in jeder Hinsicht blassen Herren waren in Hawaiihemden erschienen, um das leidlich engagierte Trommelspiel der Afrikaner — wieder waren zwei Perkussionisten und ein Drummer am Werk — mit einem Crossover aus Max Greger und Klaus Doldinger zu zerblasen.
Allein die Soli des Posaunisten hoben sich freundlich von dem Geplänkel ab, das die Gruppe allwöchentlich in einem Ku'damm-Lokal zum besten gibt. Als ein fesch hiphoppendes Sequencer-Riff zugeschaltet wurde, stürzte Sangomar endgültig zu Fahrstuhlmusik ab. Schade, denn gerade hatte Sänger Gilbert Diop sich mit Mühe gegen die falsch eingestellte Verstärkeranlage freigesungen. Stefan Gerhard
Unser Berichterstatter wird in einer der nächsten Ausgaben die Jury-Entscheidungen kommentieren. d. Red.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen