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Böse Deutsche und böser Blick

■ Rainer Iwersen über sein Stück „Die Bruderbande“ / Heute Uraufführung bei der shakespeare company

hierhin bitte den

Männerkopf

taz: “Die Bruderbande“ ist ein Stück über die deutsche Vereinigung. Was hat Sie bewegt, das zu machen.

Rainer Iwersen: Wut erstmal, über die ganzen großdeutschen Hemmungslosigkeiten, die im Zuge der Vereinigung zutage traten. Und: Es passiert etwas, das ist von einer wirklich entscheidenden Bedeutung, nicht nur für uns hier in der Bundesrepublik, sondern für Europa. Eigentlich wollte ich schon 89/90 ganz schnell reagieren, in zwei Monaten ein paar exemplarische Szenen von Coriolan bearbeiten, weil daran der Umgang von Herrschern mit Volk ganz sinnvoll zu beschreiben ist. Aus einer Reihe von Gründen hat das nicht geklappt, wir haben jetzt das Stück ohne Coriolan gemacht. Es ist nur schade um ein paar Voraussagen. Die Genugtuung, daß wir schon auf dem Theater gespielt hätten, was dann wirklich geschieht, die ist uns mit dem späteren Stück genommen.

Haben Sie vorausgesehen, daß die Deutschen miteinander so häßlich umgehen?

Ja. Auch daß die Großmachtgelüste wieder losgehen. Das ist ja auch seit Jahren so, nicht nur in der BRD, auch in der DDR. Bei uns ging das mit dem Historikerstreit los, mit nationaler Identität, Nationalbewußtsein, „deutsch“ sein. Der Bundespräsident hatte ja nichts Besseres zu tun, als es gesund zu nennen, „deutsch“ zu empfinden. Also das Wörterbuch des Unmenschen wurde wieder aufgeklappt. Und in der DDR haben sie ja auch versucht, den Sozialismus durch einen „deutschen“ zu ersetzen, Friedrich II. wieder entdeckt, Luther uminterpretiert.

Und es war so, daß wo wir uns damals mal eine kleine Frechheit erlaubt hatten und gesagt hatten, sowas könnte ja auch noch passieren, dann konnten wir das zwei Wochen später in der Zeitung lesen. Herr Jelzin kommt hierher und verspricht, daß die Wolgadeutschen ihre Republik kriegen. Da wird mir ja ganz schlecht.

Warum?

Das geht doch weiter. Daß jetzt Deutschland wirklich zur Großmacht wird, davor habe ich Angst.

Es ist eine Großmacht.

Ja, das ist schon schlimm genug, aber es wird eine ganz schlimme werden, wir werden alle die alten Sachen nochmal machen, die Pläne sind ja nicht aufgegeben. Das Vierte Reich ist nicht weit hergeholt.

Sind wir so gefährlich, weil wir strukturell faschistisch sind? Das ist der Eindruck, den man in dem Stück bekommt.

Ja. Das soll ja auch ein einseitiges Stück sein. Natürlich kann man auch noch andere Aspekte dieser Geschichte auftun, wo einem ein wenig das Herz aufgeht. Die sog. Wiedervereinigung war ja faktisch ein Anschluß, bei dem der westliche, große Bruder sämtliche Bedingungen diktiert hat.

Was ist daran faschistisch? Das Grundmotiv des Stückes besteht ja aus Vergewaltigungen oder Tötungen von Schwächeren.

Ja, das halte ich auch für typisch deutsch.

Und diese Vorstellung halten Sie nicht für ein Nationalgefühl?

Von Hoyerswerda und all dem haben wir ja nichts gewußt, als wir das Stück schrieben, aber das ist dann passiert. Wir haben dann noch einige Sätze hineingenommen. Da, wo einige vielleicht sagen würden, das ist jetzt übertrieben, da haben wir genaue Zitate angegeben. Das kann man sich nicht ausdenken. Z.B. „Zäune um Asylantenheime können nicht die Endlösung sein“, das ist der sächsische Innenminister, und der ist immer noch Innenminister.

Er ist zurückgetreten danach.

Aber nicht wegen dieses Satzes. Hoyerswerda liegt in Ostdeutschland. Haben Sie denn den Eindruck, daß sich die ganze ostdeutsche Geschichte aus dem Nationalsozialismus ableiten läßt und nicht aus den Zerstörungen, die der totalitäre Staat der letzten vierzig Jahre angerichtet hat?

Sowohl als auch. Aber wenn ich dann jüngst höre, daß Herr Fuchs sagt, die ganze DDR war ein „Seelenauschwitz“, oder wenn Herr Bucerius über Bitterfeld sagt, daß die DDR-Regierung ihre Bevölkerung da „vergast“ hat, dieser ganze Versuch, das zu vergleichen, das sind ja keine Ausrutscher.

Das, was so beklemmend ist bei der Arbeit an diesem Stück, ist ja, daß wir währenddessen eingeholt wurden von diesen Sachen. Wir sind ja nicht glücklich darüber. Es ist Recht des Theaters, Möglichkeiten zu entwerfen, auch die finstersten, gerade die. Aber wenn sie dann noch alle eintreten! Z.B. dieses die Täter zu Opfern erklären, das können die Deutschen wirklich besonders gut. Ich weiß auch nicht, ob es so etwas gibt wie Nationalcharakter. Aber es wird es schon geben. Durch gemeinsame Geschichte werden sich schon bestimmte Dispositionen herausbilden. Und all das kann ich nicht ohne Faschismus betrachten, das gehört schon mal dazu.

In dem Stück gehört er nicht nur dazu, sondern — das ist ein Unterschied — es entwickelt sich alles aus ihm — die Geschichte der DDR, der BRD, die Vereinigung.

Ja. Man kann sicher auch andere Linien finden. Klar, das ist dieser Blick, der sich auch verengt, der auch im Laufe der Zeit böse wird, weil er immer wieder findet, was er sucht. Wir ersticken ja an der Fülle des Schrecklichen. Interview: Uta Stolle

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