: Ärzte bevorzugen Schinkenröllchen
■ Karsten Vilmar und Hermann Schulte-Sasse im Streitgespräch
Herman Schulte-Sasse (43) vertritt die Liste Gesundheit bei der Wahl zur Ärztekammer am 13. Dezember, Karsten Vilmar (61) tritt für ein Bündnis dreier konservativer Ärztevereinigungen ein.
taz: Fordern Sie für die Ärzte ein politisches Mandat über die „Liste Gesundheit“?
Hermann Schulte-Sasse: Anspruch auf ein allgemein-politisches Mandat erheben wir nicht. Das wäre rechtswidrig. Wir meinen aber, daß die Kammer sehr wohl Aussagen formulieren kann, die gesundheitspolitisch wichtig sind.
Karsten Vilmar: Wir sind selbstverständlich auch bereit, zu gesundheitspolitischen Fragen etwas zu sagen. Aber eben nicht im Sinne der Allgemeinpolitik. Wir können uns nicht zu Müllkonzepten äußern. Wir können uns aber zu Gesundheitsthemen äußern.
Ist es nur Gesundheitspolitik, wenn Sie, Herr Vilmar, für Dicke und Skifahrer höhere Beiträge für die Krankenkassen fordern?
Vilmar: Das ist sicher gesundheitspolitisch. Wobei ich nie höhere Krankenkassenbeiträge gefordert habe — das kann man gar nicht umlegen. Abgaben kann man nur auf den Konsum erheben.
Schulte-Sasse: Das sehen wir natürlich anders. In der Frage der Dicken-Problematik hat sich Vilmar vergaloppiert. Denn eine Konsumsteuer speziell für Dicke kann es natürlich nicht geben. Die nachträgliche Abstrafung der Dicken oder der Raucher ist der falsche Ansatz. Wir interessieren uns mehr dafür, warum rauchen die Leute soviel? Denn die Individualisierung solcher Risikofaktoren ist ja immer gleichbedeutend mit einer Entlastung der gesellschaftlichen Rahmenbedingungen.
Stichwort Kostendämpfung. Mit welchen Konzepten wollen Sie da herangehen?
Schulte-Sasse. Zum Thema Ko-
Karsten Vilmar, Hermann Schulte-Sasse, Heinrich Eitmann (Ärztevereinigung) Foto: T.V.
stendämpfung gibt es zwischen uns in weiten Teilen keinen Dissens. Die Entscheidung, wieviel eine Gesellschaft bereit ist, für den Gesundheitsbereich auszugeben, kann nicht von Kassen oder Ärzten, sondern nur gesamtpolitisch getroffen werden. Die Frage ist nur: Ist das, was wir zur Zeit ausgeben, immer richtig ausgegeben? Da müssen wir in der Medizin, in der Ärzteschaft sehr viel selbstkritischer diskutieren. Mit dem gleichen Kostenaufwand könnten wir nämlich eine Medizin betreiben, die eine bessere Versorgung der Bevölkerung sichert. Man kann zur Zeit von einer Überdiagnostik und auch von einer Übertherapie in der Gesellschaft sprechen. Hier geben wir sehr viel mehr Geld aus, als sein müßte. Innerhalb der Ärzteschaft müßten wir unter anderem ein Fortbildungsangebot aufbauen, das unabhängig von Pharma-Herstellern arbeitet.
Vilmar: Es ist gar nicht zu bestreiten, daß es Möglichkeiten gibt, etwas einzusparen. Und daß man
hier
bitte die
Herrenrunde
über die Fortbildung darauf einwirken muß. Dennoch: Wegen der zunehmenden Zahl älterer Menschen und deren Multimorbidität, deren Dauerbehandlungsbedürftigkeit, und der Fortschritte in der Medizin wird eine Medizin auf dem heutigen Leistungsniveau nicht weiter betrieben werden können. Aus diesem Grunde haben wir die ganze politische Ideologie der Beitragsatzstabilität in Frage gestellt. Produktunabhängige Fortbildung machen wir seit Jahren. Wir lassen uns die Fortbildung nicht von irgendwelchen Firmen sponsern. Es ist aber auch die Frage, wie ist die Akzeptanz bei den Mitgliedern. Und da kommen wir an mindestens zwei Probleme: Einmal wird in Bremen sehr viel angeboten, so daß der Besuch der Einzelveranstaltung zu wünschen übrig läßt. Und zweitens gehen leider zu viele Ärzte zu den Schinkenröllchen und der Chappi-Fortbildung und weniger zu der anderen, produktunabhängigen.
Schulte-Sasse: Das ist eine mas
sive Selbstkritik an der Ärzteschaft, die ich weitgehend teile. Ich bin allerdings der Meinung, daß dies verändert werden könnte: Über den Ausschuß Fortbildung, der erst vor einem Jahr auf unser Drängen hin eingerichtet wurde. Ich hoffe, daß wir in Zukunft über die Kammer da mehr tun können. Die Fortbildung ist im wesentlichen dem Ärztlichen Verein und den Fachverbänden überlassen worden. Der Ärztliche Verein informiert jedoch mehr über Diskussionen in der medizinischen Wissenschaft. Die Fachverbände haben traditionell ihre Veranstaltungen sehr stark an das Sponsern von Herstellern gebunden. Warum sollte die Ärztekammer nicht einen Fond einrichten, in den pharmazeutische Unternehmen einzahlen, womit sie signalisieren, daß sie an ärztlicher Fortbildung interessiert sind? Man könnte am Ende des Jahres ja eine Spendenliste veröffentlichen.
Das Gespräch führte Birgitt Rambalski
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