: Debatte: Zitelmann contra Vinnai
■ betr.: "Das innere Ausland", taz vom 27.11.91, "Ausländerfeinde auf die Couch?", taz vom 29.11.91
betr.: „Das innere Ausland“ (Vinnai), taz vom 27.11.91, „Ausländerfeinde auf die Couch?“ (Zitelmann), taz vom 29.11.91
Herr Zitelmann hat meine Thesen zur Sozialpsychologie der Fremdenfeindlichkeit mit einer Attacke erwidert, die ich befremdend finde, weil sie der Intention, die ich mit dem Text verbinde, nicht gerecht wird. Deshalb einige Bemerkungen zu seinem Angriff.
1.Zitelmann wirft mir vor, mir mit meinen Thesen das „Gütesiegel der Ausländerfreundlichkeit“ verleihen zu wollen. Psychoanalytische Konstruktionen kann man aber nur dann verstehen, wenn man sie zuerst einmal auf sich selbst anwendet. Selbstverständlich neige ich, wie andere Menschen auch, zur Abwehr des Fremden, zu Vorurteilen und zur Konstruktion von Sündenböcken. Die Psychoanalyse hat mir geholfen, das zu begreifen; ich hoffe, es geht anderen auch so. Wenn Zitelmann meint, daß positive Vorurteile nur die Kehrseite von negativen seien und auch von Ausblendungen leben, hat er Recht. Es gibt keinen vernünftigen Grund, Ausländer zu glorifizieren, man darf durchaus Probleme mit ihnen haben. Die Frage ist aber, ob man mit den Problemen, die man mit Ausländern hat, so umgeht, daß deren Realität dabei halbwegs angemessen zur Kenntnis genommen wird, oder ob man daran durch psychische Mechanismen gehindert wird, auf die mein Text hinweist.
2.Zitelman rät, den Dialog mit Andersdenkenden und Andersfühlenden zu führen. Da kann ich ihm zustimmen. Es ist aber leider so, daß es psychische und soziale Realitäten gibt, die dem Dialog Grenzen setzen. Gesellschaftlich produzierte kollektive Neurosen bestimmen entscheidend die Realitätserfahrung von Menschen. Diese muß diese verstehen und bearbeiten, wenn man zu weiterführenden Dialogen gelangen will. Sprachzerstörung hat oft nicht primär mit mangelnden Einsichten zu tun, sondern mit fragwürdigen seelischen Verfaßtheiten, denen man sich stellen muß, wenn man an ihrer Überwindung arbeiten will. Man diskriminiert Menschen nicht notwendig, wenn man darauf hinweist, daß es soziale Realitäten gibt, die sie so beschädigen, daß ihre Fähigkeit zur Realitätserfahrung dadurch leidet.
3.Es scheint mir sinnvoll, in eine Diskussion darüber einzutreten, wie psychoanalytische Einsichten zur Überwindung der Fremdenfeindlichkeit genutzt werden können. Meine Thesen machen dazu wenig Aussagen. Natürlich reichen psychoanalytische Einsichten zum Verständnis des Phänomens nicht aus. Ökonomische, soziologische und politische Einsichten und vielfältige Erfahrungen müssen dazu herangezogen werden. [...] Die Psychoanalyse kann „nur“ auf verdeckte subjektive Elemente dieses Problemfeldes hinweisen. Zitelmann fordert, daß man Ängste, Gefühle und Wünsche genauer zur Kenntnis nimmt, dazu kann die Psychoanalyse einiges beitragen.
4.Da ich mich in meinen Thesen als Linker zu erkennen gebe, verordnet mir Zitelmann angesichts des Scheiterns des „real existierenden Sozialismus“ „Selbstzweifel“ und „Selbstzerknirschung“. Jeder linke Intellektuelle meiner Generation hat heute, sofern er halbwegs bei Verstand ist, mit Selbstzweifeln zu kämpfen. Die sozialistische Position, die ich und andere in der Vergangenheit vertreten haben, ist gescheitert. Über Alternativen zum Bestehenden muß heute neu und anders nachgedacht werden. Das schließt meiner Ansicht nach ein, daß man die sozialistische Kritik an der westlichen Kultur kritisch aufarbeitet, anstatt sie pauschal zu denunzieren. Ein Denken, das alle Richtungen des Sozialismus unterschiedslos dem Totalitären zurechnet, trägt selbst totalitäre Züge. Sie sind alle kritikbedürftig, aber bevor man Demokratie und Sozialismus undifferenziert als Gegensatz sehen will, sollte man wenigstens zur Kenntnis nehmen, daß wesentliche Grundrechte in den westlichen Demokratien vor allem von einer sich als sozialistisch verstehenden Arbeiterbewegung durchgesetzt wurden. Daß ich wegen des Scheiterns des Stalinismus in Zerknirschung verfallen soll, sehe ich nicht ein. Es ist absurd, die kritische Theorie Adornos oder Horkheimers, auf die ich mich in meinem Text teilweise beziehe, mit dem Stalinismus in Verbindung zu bringen. Die Psychoanalyse, die ich als Wissenschaftler vertrete, war nicht nur im Dritten Reich, sondern auch im „real existierenden Sozialismus“ verboten; ihre Anhänger waren dort der Verfolgung ausgesetzt. Zitelmann, der sich als engagierter „Antistalinist“ gibt, mißt dieser Tatsache offensichtlich keinerlei Bedeutung bei.
5.Wahrscheinlich sind meine Thesen zu kurz und vielleicht etwas zu sehr „von oben herab“ geschrieben und geben dadurch zu Mißverständnissen Anlaß. Der Dialog könnte diese vielleicht ausräumen. Zitelmann empfiehlt den vorurteilsfreien Dialog, belegt mich aber zugleich derart mit Vorurteilen, daß er ihn nahezu unmöglich macht.
Es ist ihm zu raten, sich zu überlegen, welche eigenen Persönlichkeitsanteile er undurchschaut auf andere projiziert. Als vergleichender Faschismusforscher sollte Zitelmann wissen, daß es in der nationalsozialistischen Propaganda das Klischee des volksfeindlichen, womöglich von der jüdischen Psychoanalyse infizierten Intellektuellen gab, der mit seinem kalten Intellekt dem gesunden Empfinden des Volkes fremd gegenüberstehen muß. Man sollte alles vermeiden, was auch nur den Anschein erwecken könnte, daß man diesem Klischee in anderer Gestalt wieder Geltung verschaffen möchte. Prof.Dr.Gerhard Vinnai,
Berlin
Zitelmann will dem „Phänomen“ der Fremdenfeindlichkeit zu Leibe gehen und hat zu diesem Zweck die lange weggelegte „Dialogthese“ wieder hervorgeholt. Zu lösen war das Rassismusproblem damit bisher nicht! Wesentlich ehrlicher und überzeugender hingegen sind Vinnais Erklärungen und Hinweise auf Reich, Freud und Adorno. Leider aber sind auch deren vielfach unbedingt stichhaltige und teilweise sogar bestechenden Theorien auf die täglichen Überfälle von Rechtsradikalen und Fremdenfeinden gegen alles, was von ihnen als minderwertig eingestuft wird, nicht ausreichend.
Bleibt noch der Kampf... (was beide, Vinnai und Zitelmann, vorläufig noch nicht zugeben wollen!) Wolfgang Schröder, Rastede
Trotzdem ich Vinnais These (Fremdenangst/-haß — eine schwere, therapiebedürftige Neurose) zustimme, glaube ich nicht, daß wir mit einer Forderung nach Zwangstherapie zum Beispiel für Skinheads weiterkommen, da sich an deren Therapiewiderstand jedeR TherapeutIn die Zähne ausbeißt, selbst wenn man über polizeiliche oder richterliche Maßnahmen einen gewissen Leidensdruck für die Herrschaften herstellen könnte.
[...] Wer seine Neurose auf Kosten anderer zu einem politischen Programm machen will, darf in höheren Ämtern oder in der Führung politischer Parteien nichts verloren haben. Parteien, deren wesentliches Ziel die Befriedigung der diesbezüglichen Neurosen ihrer Mitglieder ist (zum Beispiel Reps, FPÖ, DVU, NPD, FAP) sind Verbrecherorganisationen! Ernst Soldan, Norderstedt
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