: Schamir fürchtet Rückgang der „Alija“
■ Die israelische Regierung setzt nach wie vor auf die jüdische Einwanderung aus der zerfallenden Sowjetunion/ Die Einwanderungsbehörden sind längst überfordert
Auf einer Sitzung der Einwanderungskommission der Knesset fand gestern eine „Alija“-Debatte statt. Das hebräische Wort „Alija“ bedeutet „Rückkehr“ und ist im allgemeinen der Begriff, der für die Einwanderung von Juden nach Israel — oder früher nach Palästina — verwendet wird. Auf dem Treffen wurde mitgeteilt, daß seit Januar 1990 ungefähr 318.000 Juden nach Israel eingewandert seien. 1991 seien ungefähr 134.000 sowjetische Emigranten nach Israel gekommen.
Ministerpräsident Schamir erklärte, daß sich die sowjetischen Juden trotz aller wirtschaftlicher Schwierigkeiten immer noch zur Auswanderung nach Israel entschlössen, weil die Lage in der UdSSR noch schlimmer sei. Doch er befürchte, daß die Dezentralisierung in der zerfallenden UdSSR „negative“ Folgen für die jüdische Einwanderung nach Israel haben werde.
Die Auswanderung wurde bislang von den Zentralbehörden in Moskau organisiert. Jetzt könnte es nach Schamirs Aussage passieren, daß die einzelnen Republiken daran interessiert seien, qualifizierte jüdische Einwanderer aufzunehmen, die sich am dringend erforderlichen ökonomischen Wiederaufbau beteiligen sollen. Dies würde die jüdische Einwanderung nach Israel eventuell zurückgehen lassen. Schamir betonte in diesem Zusammenhang auch, Juden in den drei nunmehr unabhängigen baltischen Republiken müßten sich vor antisemitischen Ausschreitungen fürchten, da die Regierung nichts gegen die Entstehung neonazistischer Gruppen unternommen hätte. Uri Gordon, der Direktor der „Abteilung für Einwanderung und Unterbringung“ in der „Jewish Agency“ teilte mit, daß die Zahl der Einwanderer im letzten Jahr gesunken sei. Jedoch zögen eine Million Juden in der Sowjetunion die Einwanderung nach Israel in Betracht. 1992 kämen möglicherweise 400.000 sowjetische Juden nach Israel, was katastrophale Folgen haben könnte, weil es weder Arbeit noch Wohnungen für sie gebe.
Der führende Politiker der Arbeitspartei, Schimon Peres, bezeichnete die Art der Aufnahme von Neueinwanderern in Israel als „katastrophal, chaotisch und skandalös“, und als einen „furchtbaren Fehlschlag in der Geschichte Israels“. Viele Einwanderer müßten hungern und sich ihre Nahrung aus den Mülltonnen holen, während die Minister große Reden hielten und die Regierung Unsummen für nutzlose Projekte ausgebe. A.W.
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