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Bloß Heavy Metal im Spielmannszug?

■ Viel Trara um ein mißachtetes Instrument: Wie Melvyn Poore seiner Tuba Wunderdinge entlockt / Heute bei DACAPO

Erst Heilsarmee-Umbabaß, jetzt einer der einfallsreichsten Solo-Tubisten: Melvyn PooreFoto: Falk Heller

Solche Pfundskerle, die eine Tuba zum Tuten bringen, heißen meistens Karl, und man geht ihnen besser aus der Puste. Aber dieser hier, Melvyn Poore, hat ein feingewirktes Lächeln, und schon die Frage, woher der schmale Mensch zum Luftpumpen die Kraft nimmt, belustigt ihn: Alles eine Frage des Atems, sagt er, alles einfach „supported by the Bauch“. Heut abend wird Poore, nebenbei ein kaum aufhaltsamer

hierhin bitte das

Foto von dem Mann

mit Tuba

Klangforscher, uns vorführen, zu welchen Äußerungen die Tuba, wenn man sie läßt, imstande ist: Der 14. Dacapo-Kursabend der „Wege zur Musik“ verspricht Unerhörtes.

Wo er nur kann, geht nämlich Poore seiner Tuba an den Leib: hinten den Trichter stopft er mit Dämpfern aller Art, vorne ist ihm kein Mundstück unmöglich, und mittlings werkt er gar in den Eingeweiden und nimmt umstandslos

ganze Rohrschlangen raus wie Blinddärme. Mir zuliebe bläst er zum Beispiel mal durch das Doppelrohrblatt von einem Fagott in sein Mordstrumm — und heraus kommt ein sonderbar schwabbelnder Fräsenklang, und des Bläsers Lippen zwängen ihn durch die wunderlichsten Preßformen.

Dann wieder bringt Poore den ganz ungetrübten Tubabaß hervor, einen starken, warmen Leib- und Magenton. Nur richtig laut mag er noch nicht. „Zu gefährlich jetzt“, sagt er, für die Lippen, deren Vibration erst die Tuba tuten macht. Bevor einer richtig losprustet, müssen die Muskeln warm und gut durchblutet sein, „wie bei Athleten“, sagt Poore.

Mit vier Jahren hat er angefangen. Da mußte er die Tuba noch auf den Boden stellen zum Bespielen. Ja, der Vater war's, Tubist auch er, und hatte früh eine Nutzanwendung für den Sohn: in seiner „Heilsarmy“. Später dann, mit dreizehn, fand Poore den Ausweg zu einer Youth Brass Band, deren es noch immer viele in England gibt: Jede Fabrik hat seit Gründerzeiten eine; man trifft sich, spielt arrangierte Klassiker und ausrangierte Zeitgenossen, „these frustrated composers“, sagt Poore, die ein richtiges Orchester nicht für sich einnehmen könnten; es gibt Wettbewerbe noch und noch — das immerhin ist übriggeblieben von einer Kultur, sagt Poore, die früher mal working class movement gewesen ist mit allem Drum und Dran.

Poore aber hat, da war er schon Student, doch noch herausgefunden aus dem Gleichtakt der competitions und aus der Verzweiflung über das bißchen Literatur, mit dem die Tuba auskommen muß, seit sie im Jahre 1835 dem Berliner Militärmusikanten Wieprecht eingefallen ist. Bald kam auch das neumoderne Romantische Orchester, allen voran Berlioz, auf diesen Trichter, der so abgrundtief und wie aus Höllenschlünden tröten konnte. Von solchen Krachschlägern hat sich die Tuba lange nicht mehr erholt.

Bis zum Beispiel Melvyn Poore anfing zu tüfteln. In Ermangelung geeigneter Noten von Zeitgenossen (“Es gab da nur so Mickymausmusik“) bat er Freunde um Kompositionen, fing unterdessen schon mal an zu improvisieren und gelangte so von einem grünen Zweig zum nächsten. Heute kennt er rein gar keine Grenzen mehr und arbeitet, wie er sagt, an einem Meta-Instrument, einer Art musikalischen Intensivstation: Da ist dann seine Tuba mit allerlei Kabeln und Schläuchen angeschlossen an elektroakustische Apparaturen; Musikcomputer mischen sich programmgemäß drein, und mittendrin sitzt Poore und hat seine Tuba im Griff, und den ganzen Pokus drumrum befehligt er per Fußschalter.

Er kann aber auch ganz schlicht: Da nimmt er sein Instrument und bläst einen sanften Ton, und auf einmal läßt er lauten Gesang einfließen, und im Rohrgeschlängel werden wunderschöne Harmonien draus. Open throat, sagt Poore, reine Übungssache, Kehle ganz offen, body under control, das ist alles; aber Obacht: It takes you into other areas, sagt Poore.

Er spricht von seiner Tuba mit einem fast bewegtem Respekt: „Schön, wie weit wir uns entwickelt haben“, sagt er, „wir beide“. Vor allem, seit sie mit Vorliebe improvisieren, die beiden. Nix Jazz, einfach improvisierte Musik, für Poore „ein neues centre, von dem aus man überall hinkommt!“

Und schon hat er mir wieder was zu zeigen und läuft mit seiner Tuba zur Wand und hält den Trichter dicht dagegen: Wie es da gleich den Ton hochzieht! „Weil sich die schwingende Luftsäule verkürzt“, sagt Poore, „wunderbare Glissando-Technik“, und bläst, daß ich's merke, noch einmal, und so lange, daß ich um seine Lunge fürchte. Woher all die Luft? „Zirkular-Atmung“, sagt Poore. Gleichzeitig blasen und einatmen...Man müsse, sagt er hastig zu meiner Beruhigung, nur den Punkt finden, an dem sich die Kehle abschließen läßt. Dann die Restluft rauspressen und zugleich, quasi hintendrüberweg, frische einziehen.

Ja, es gab schon auch Zeiten, da hat er die Tuba gehaßt. Wenn wieder nichts vorankam und wieder nichts. Sie haben aber durchgehalten, die beiden. Und jetzt quarren und juchzen und singen sie vor sich hin, und in all dem Trara muß Poore sich immer noch wundern, was seine Tuba so kann. Aber hören Sie selbst. Manfred Dworschak

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