Wandlung der Kaderschmieden kommt kaum voran

■ Unter der Fuchtel der CDU-geleiteten Senatsschulverwaltung existieren die Kinder- und Jugendsportschulen ohne ein überzeugendes neues Pädagogikkonzept weiter/ Schulunterricht soll aber zukünftig vor Sporttraining gehen/ Fehlende MusiklehrerInnen sind ein Problem

Prenzlauer Berg. Die Ernst-Grube- Schule am südöstlichen Rand von Prenzlauer Berg ist nicht leicht zu finden. Gelegen in einem Viertel mit dem Charme eines Industriegebiets, verbirgt sich die Kinder- und Jugendsportschule hinter einer ehemaligen Kaufhalle, in der jetzt Konkursmassenramsch feilgeboten wird. Als Konkursmasse wäre auch die Schule beinahe geendet — galt sie doch vielen als Kaderschmiede mit einem hohen Grad an ideologischer »Verseuchung«. Denn hier sind, wie in drei anderen Ostberliner Sportschulen auch, bis zur Wende erfolgversprechende LeistungssportlerInnen und Medailleneinheimser (zum Ruhme der DDR) ausgebildet worden. Den Schulen kam die Aufgabe zu, optimales Training durch externe Trainer zu gewährleisten.

Zur Zeit befindet sich die Ernst- Grube-Schule, die mittlerweile schlicht »5. Berliner Oberschule Prenzlauer Berg« heißt, in einer Umbruchphase. Unter der direkten Verwaltung des Schulsenats — nicht wie allgemein üblich der Bezirksverwaltung — sollen sie in Oberschulen mit Sportschwerpunkt umgemodelt werden. Die Delegierung der Verwaltung an den Schulsenat ist nicht unumstritten: Sybille Volkholz, bildungspolitische Sprecherin der Fraktion Bündnis 90/Grüne, kann »noch kein überzeugendes pädagogisches Konzept« erkennen.

Dennoch stehen in der ehemaligen Ernst-Grube-Schule die Zeichen auf Veränderung. Nicht nur die Handwerker, deren Umbauarbeiten die Wände zittern lassen, weisen darauf hin.

Auch die Entlassung des alten Schulleiters und der Ersatz durch einen »Westimport« signalisieren, daß hier ein anderer Wind wehen soll. Am alten Lehrerkollegium ist dieser weitgehend vorbeigegangen: Nur einige wenige, für die »Gesinnung« besonders verantwortliche LehrerInnen mußten sich verabschieden. 117 von ursprünglich 131 LehrerInnen konnten bleiben. »Eine gute Entscheidung«, wie der neue Schulleiter Claus Kretschmer meint. Er sieht, was weitere Entlassungen anbelangt, »keinen Handlungsbedarf« und lobt das »große Engagement« vieler KollegInnen. Claus Kretschmer regiert eine der personell bestausgestatteten Schulen Berlins. Ein Lehrer kommt auf acht SchülerInnen — ein Personalschlüssel, von dem andere Oberschulen nicht zu träumen wagen.

Sybille Volkholz sieht durch diese Bevorzugung das Gerechtigkeitsprinzip verletzt und fordert eine baldige Umverteilung. Außerdem kritisiert sie, daß die Senatsschulverwaltung offenbar langsamer sei mit der Auswertung der Fragebögen, die eine politische Vorbelastung ans Tageslicht bringen sollen, als die Ostberliner Bezirksschulverwaltungen. Letztere hätten die Untersuchungen bereits weitestgehend abgeschlossen. Die Lehrer der ehemaligen Ernst-Grube-Schule, die vorerst — wie ihre KollegInnen in Ost-Berlin auch — auf Angestelltenbasis arbeiten, hoffen natürlich, weiterbeschäftigt zu werden. Ihr Arbeitsleben hat sich verbessert. Hatten sie früher ihre liebe Not, den Unterricht um die Ansprüche der externen TrainerInnen herumzuorganisieren, so hat heute der Schulunterricht oberste Priorität.

»Ich fühl' mich jetzt ernster genommen«, erklärt ein Mathematiklehrer, »früher wurde ja gemacht, was die Trainer wollten.« Nur an die neuen Klassenstärken müsse man sich noch gewöhnen. Von ursprünglich durchschnittlich fünf SchülerInnen pro Klasse ist die Klassenstärke nun auf 28 hochgeschnellt. Warum dies trotz des guten Personalschlüssels der Fall ist, können weder der Schulleiter noch die LehrerInnen so recht beantworten.

Woran sich die LehrerInnen erst gewöhnen müssen, findet so manche SchülerIn gar nicht so unangenehm. »Jetzt haben die einen wenigstens nicht mehr so im Blick«, kommentierte eine Zehntkläßlerin die neue Situation. Dafür sei die Gangart aber härter geworden. Ihre Klassenkameradinnen nicken zustimmend. »Ja, früher waren die Lehrer eigentlich netter«, ergänzt einer von ihnen, »nicht so streng eben«. Sonderlich kadergeschmiedet wirken die Jugendlichen nicht.

Berühmte SportlerInnen würden die meisten von ihnen aber schon gerne werden. Ein kleiner Trost vielleicht für das Heer der TrainerInnen, deren Vormachtstellung jetzt offenbar gebrochen ist. Konnten sie früher die SchülerInnen aus dem Unterricht abziehen, wann immer sie es für nötig befanden, müssen sie sich jetzt an feste Trainingszeiten halten. »Das führt«, so eine Englischlehrerin, »bisweilen zu kleinen Kraftproben zwischen der Schule und den Trainern.« Letztere nämlich sind überwiegend nicht ausgewechselt, sondern als Verbands-, Landes- oder Bundestrainer übernommen worden. Dietmar Bothe, Pressesprecher des Landessportbundes, erklärt dazu, daß sein Verband nur die Trainer übernehme, bei denen kein Anlaß zu Bedenken bezüglich einer Stasi- oder Dopingvergangenheit bestehe.

Er sieht in den Sportschulen eine Chance, junge SportlerInnen bestmöglich zu unterstützen. Die Gefahr eines Fortbestandes der Sportschulen als Eliteschulen sieht er nicht, auch wenn, so seine Einschätzung, diese zur Zeit überwiegend von NachwuchssportlerInnen der Berliner Spitze besucht würden. Eine Eliteschule wünscht sich auch der neue Schulleiter Claus Kretschmer nicht. Er will »fort vom ehemaligen Sportinseldasein« und hat deshalb (und weil es die Auflagen so vorsahen) die Schule auch für SchülerInnen aus dem Bezirk, die keinerlei sportliche Ambitionen haben, geöffnet. Sie werden, in Klassen ohne Sportschwerpunkt, wie alle anderen auch, auf das Abitur vorbereitet. Für Neuzuwachs sorgten auch 40 Westberliner AthletInnen.

Ein Problem stellt das Defizit an MusiklehrerInnen dar. Die Schule kann zum Tausch Mathematik- oder ChemielehrerInnen anbieten. LehrerInnen, die sich berufen fühlen, für 60 Prozent des Westgehaltes den jungen SportlerInnen musikalisch auf die Sprünge zu helfen, sind in der 5. Berliner Oberschule Prenzlauer Berg herzlich willkommen. Sonja Schock