: Beuysland
Zwei halbe Sachen: „Transit“ in Krefeld und „Natur Materie Form“ in Düsseldorf ■ Von Jochen Becker
Doppeltes Heimspiel: Parallel sind am Düsseldorfer Grabbeplatz die umfassenden Werkschauen von Nam June Paik (Kunsthalle) und Joseph Beuys (Kunstsammlung Nordrhein-Westfalen) zu sehen. Die Künstler waren bis zu Beuys' Tod vor knapp sechs Jahren aktionistische Weggefährten und Freunde seit ihren Fluxus-Jahren. Beuys holte Paik an die Düsseldorfer Kunstakademie, wo beide als Lehrer vom künstlerischen Nachwuchs sehr geschätzt wurden; auf deren Werdegang hatten sie großen Einfluß. Bei der Paik-Eröffnung nun drängten sich auf mehreren Etagen unterm Flackern der Monitore lokale Prominenz und der künstlerische Nachschub; bei Beuys hingegen schweiften Sammler, Kunsthändler und gesetzte Ehepaare bedächtig über die 1.850 Quadratmeter große Ausstellungsfläche.
Folgte man dieser soziodemoskopischen Betrachtung, scheint von Paik mehr inspirierende Freude, von Beuys mehr bürgerlicher Kunstgenuß auszugehen — erstaunlich nach all den früheren Anfeindungen. Die von der profilsüchtigen Orts-CDU im Vorfeld der Ausstellung anberaumte Diskussion: Beuys: Genie oder Scharlatan? kommentierte eine lokale Zeitung denn auch mit der Überschrift „Nur Lob für den Meister“.
Armin Zweite, der sich mit seiner Beuys-Ausstellung als neuer Leiter der Kunstsammlung vorstellt, schlägt als Katalogautor — und im spürbaren Gegensatz zur eigentlichen Präsentation — eine andere Richtung ein: Während er im Vorwort noch zugunsten des Plastikers und Zeichners Beuys den Redner Beuys abwertet und von „aufs Politische zielende Therapie“ spricht, beschreibt Zweite später eingehend das exemplarische Projekt der Stadtverwaldung von Kassel durch die erst posthum vollendete Pflanzung von 7.000 Eichen. „Beuys beklagt immer wieder die Nischenexistenz der modernen Kunst, ihre Spezialisierung und Wirkungslosigkeit“, so Zweite. Deshalb begründet er — als seinen „Reformversuchen“ innerhalb der Kunstakadamie mit Entlassung entgegnet wurde — das Modell einer „Freien Internationalen Universität“, kämpfte gegen die Rodung eines Waldes für den Bau von Tennisplätzen, war Gründungsmitglied und örtlicher Kandidat der Grünen und wollte sowohl in Hamburg als auch in Münster verseuchte Rieselfelder durch Aufforstung umgestalten.
Beuys, der eine konservative Vorliebe für veraltete Objekte und Materialien wie Herdplatten, Vitrinen, Filzstoffe oder Gußeisen hegte, erkannte gleichwohl, daß die traditionelle Plastik auch unter rein formalen Gesichtspunkten überholt ist. Im Unterschied zur groben Maschinenmechanik seiner Kindheit war die stetig miniaturisierte Technik ohne instrumentelle Hilfe wie Elektronenmikroskop oder Simulation nicht mehr anschaulich erfahrbar. Eine Straßenbahn-Haltestelle — wie zur Biennale in Venedig — kann man plastisch noch fassen; den Giga-Byte-Chip produzieren weitgehend autonome Maschinen.
Nam June Paik reagierte auf den technologischen Wandel, indem er die Elektronik und das TV-Licht als Hilfsmittel nutzte, um mit diesen Immaterialien seine skulpturale Arbeit fortzusetzen; Beuys hingegen wandte sich verstärkt der „sozialen Plastik“ zu. Hierdurch erhoffte er sich eine Lösung für die „regelrecht bildhauerische Aufgabe, eine Gesellschaftsform zu gestalten“. Statt der plastischen und mechanischen Oberfläche stand nun für ihn die Funktionsweise gesellschaftlicher Vorgänge im Vordergrund: „Ich will mehr und mehr herausgehen, um zwischen den Fragen der Natur und den Fragen der Menschen an ihren Arbeitsplätzen zu sein.“
Beuys wurde — wie im Fall der zäh sich hinschleppenden Großaktion 7.000 Eichen — in seinen letzten Jahren zum Manager in eigener Sache, hielt Vorträge, warb um Verständnis, kämpfte sich durch den Gremienapparat und mobilisierte eine beträchtliche Helferschar. Obwohl „ich jetzt zu neunzig Prozent auf diesem Gebiete arbeite und weniger Dinge mache, die man verkaufen oder ins Museum bringen kann“, war die Finanzierung seines Projekts nur durch den Verkauf neuer Arbeiten zu sichern. Aus dem gleichen Grund willigte er auch ein, in einem japanischen Whisky-Spot aufzutreten. Das Honorar von 400.000 Mark reichte für die Verbreitung weiterer hundert Eichen.
Dies alles erfährt man im ersten Teil des Düsseldorfer Katalogs; dahinter reihen sich schier endlos die flau gedruckten Abbildungen der Exponate. Unter dem fahlen Kunstlicht des akzentlosen Innenbaus am Grabbeplatz wirken die vermischten Arbeiten, durch cremeweiße und schattenlose Raumschläuche strukturiert und umfangen, ähnlich leblos und der Zeit entrissen. Die Plastiken und Zeichnungen von Beuys verblassen in diesem ahistorischen Kontext, wo Vitrinen als Fremdkörper herumstehen und wo es keine Fensterblicke gibt. Man muß dazu nur die Düsseldorfer Ausstellung mit der zeitgleich im klassischen Museumstyp aufgebauten Krefelder Präsentation vergleichen. Beuys achtete bei seinen ortsbezogenen Installationen auf das historische Umfeld; und selbst bei seinen kleinformatigen Zeichnungen griff er auf schon benutzte Zettel oder Formulare zurück statt auf Zeichenkarton oder weißes Papier. In der geschichtslos-nüchternen Düsseldorfer Kunstsammlung wirken die Exponate — auf was soll man in den Nichträumen auch Bezug nehmen — deplaziert und in die Rolle der Meisterwerke gedrängt. Ganz verschwiegen werden in der Ausstellung die sozialpolitischen Arbeiten.
*
Auch die Krefelder Beuys-Schau — parallel, doch unabhängig zur Düsseldorfer Ausstellung geplant — ist zwiespältig, wenn auch aus ganz anderen Gründen: Im dreibändigen Katalog findet man das Vorbild, den Lehrer Beuys, in der Ausstellung die Heiligenfigur. Durch Volker Döhnes sachliche Katalog-Abbildungen — „endlich gibt es mal scharfe Bilder von meinen Arbeiten“ — wird die verwandtschaftliche Verbindung von Beuys zu seinen „Schülern“ wie etwa Blinky Palermo, Franz Erhard Walther oder Reiner Ruthenbeck deutlich: klare Formen, beschränkter Materialeinsatz, fragile Mittel. Der sonst übliche aschgraue Religionskitsch — man schaue sich zum Vergleich die in Düsseldorf ergänzend ausgestellten, grobkörnig-verfransten Fotos von Ute Klophaus an — wird in den Krefelder Katalogbildern entschlackt auf die konkreten Dinge: An der Wand hängen ein Liegestuhl mit Filzbezug, ein Bumerang mit Spiegelscherbe, eine bemalte Stoffahne neben einem entasteten Fichtenstamm, zwei an Klemmleisten aufgehängte Filzlappen, ein zusammengezimmerter Tisch mit Zeichnungen auf Papier und Glas.
Dieser Schlichtheit stehen die Gestaltung der Ausstellung und die Katalogtexte von Museumschef Gerhard Storck und seiner Mitarbeiterin Sabine Röder gegenüber: Plexiglaskästen, Rahmen oder Kaninchengitter behindern die Betrachtung und halten die Besucher vor den Exponaten auf Distanz, obwohl Storck — im Falle der wie „Meisterbriefe“ aufgehängten Beuys-Zeichnungen — selbst einsieht, daß man die vormals gebündelt in Fächern deponierten oder auf dem Boden ausgestreuten Studien nicht einfach solistisch an die Wand heften sollte. In einem Aufsatz geht Storck ausführlich und mit biographischen Mythen versetzt den Kreuzen, Grabsteinen und Brunnen — frühe Auftragsarbeiten zum Überleben — nach. Um die sozialpolitischen Aktionen der letzten zwanzig Lebensjahre macht auch er einen großen Bogen. Nun gut — Storck beschränkt sich auf Arbeiten in und für Krefeld; und Beuys setzte nicht hier, sondern beispielsweise in Hamburg, Kassel oder Düsseldorf seine Aktionen an.
Als zentrales Exponat — und wie viele präsentierte Arbeiten nicht mehr verschickbar — steht in einem toten Gang die 1971 eingelieferte Regalinstallation Barraque D'Dull Odde — Arbeitsplatz eines Wissenschaftlers/Künstlers. Daheim hatte Beuys auf dem Lattengestell Krimskrams vom Spielzeug der Kinder bis zu Hühnerknochen oder Aktionsresten abgelegt. 1977 wurden die circa 600 Einzelteile säuberlich umgeräumt, katalogisiert und in Gruppen fotografiert. Ein großer Zaun aus Maschendraht hält zur fragilen Arbeit Abstand und sperrt sie nutzlos in einen Verschlag.
Transit. Plastische Arbeiten und Zeichnungen 1947-1985 von Joseph Beuys , bis zum 16.Februar im Krefelder Kaiser-Wilhelm-Museum
Josef Beuys — Natur Materie Form , bis zum 9.Februar in der Düsseldorfer Kunstsammlung Nordrhein-Westfalen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen