: Eierlikör und Erdnußflips
■ „Im Kreise der Lieben“, ein Film von Hermine Huntgeburth
Drei Frauen leben in einer düster-muffigen, deutschen Altbauwohnung (gemusterte Tapeten, braune Ledercouch, Nippes). Großmutter Emmi (Ruth Hellberg) trägt Nackenknoten, hochgeschlossenes schwarzes Kleid und ist bigotte Katholikin. Ihre Tochter Gertrud (Karin Baal) wirkt abgespannt. Mit klirrendem Modeschmuck behängt, zelebriert sie öfters Esoterik. Ihre uneheliche Tochter Marie (Barbara Auer) ist eine herbe Schönheit und typengerecht einsetzbar. Von Großmutter Emmi und Mutter Gertrud herausgeputzt, nimmt sie Männer aus. Um den Lebensunterhalt der „Familie“ zu finanzieren. Denn die Damen leben vom Heiratsschwindel.
Auf den ersten Blick läßt Regisseurin Hermine Huntgeburth ihre Protagonistinnen schrullig und skurril sein. Die Geschichte scheint Stoff für eine Komödie. Aber die Frauen sind durch ein Gespinst gegegenseitiger Abhängigkeiten miteinander verwoben.
Die Frauengenerationen glucken auf engstem Raum zusammen — Mütter, die zeitlebens Mutter bleiben, und Töchter, die zeitlebens Tochter sind. Weil Gertrud sich nicht abnabeln kann, regrediert sie ab und an in frühkindliche Phasen und wälzt sich in Embryonalstellung wimmernd auf dem Sofa. Weil Maria sich nicht abnabeln kann, überwacht sie eifersüchtig ihre Mutter und buhlt um deren Liebe. Großmutter Emmi regiert hart und herzlich.
Und so sitzen sie, die drei Damen, im heimatlichen Wohnzimmer und spielen Rommé — bei Eierlikör und Erdnußflips. Der intra-familiären Tragödie zuzusehen ist beklemmend. Nur die seltsamen Verstrickungen mit den männlichen „Opfern“ garantieren Situationskomik und gelegentlich Gelächter. Maria wird von ihrem bayerischen „Brieffreund“ mit Wunderkerze, Verlobungsparty und fidelem Familienanhang überrascht. Der neurotische Verehrer Werner huscht gelegentlich im Feinrippslip durch die Bilder. Und Oma steigt im Keller über mumifizierte Männerkörper, um eine Flasche Wein zu holen. Die beklemmende Stimmung will jedoch bis zum letzten Bild nicht weichen. Vielleicht weil Hermine Huntgeburth den Familienmief und seine grauenvollen Rituale — trotz der unübersehbaren Überzeichnung von Personen und Geschichte — genau beobachtet und hautnah auf die Leinwand geschafft hat. Der Kreis der Lieben ist einfach zu vertraut für ein vergnügliches Déjà-vu. Am Ende sind die Damen, wo sie immer waren: zu Hause.Michaela Lechner
„Im Kreise der Lieben“, Regie: Hermine Huntgeburth, mit Ruth Hellberg, Karin Baal, Barbara Auer, BRD 1991, Farbe, 79 Min.
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