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D for Drive

■ Fünf Taxifahrten, ein kleines Meisterwerk: Jim Jarmuschs Film „Night on Earth“

Zum Beispiel die Fahrigkeit von Gena Rowlands. In der einen Hand hält sie das Funktelefon, mit der anderen versucht sie, die Koffer vom Rollband abzugreifen. Sie ruft „Hello“, kommt nicht zu Wort, versucht was zu sagen, verpasst wieder einen Koffer. Ihre bemühte Geschäftigkeit. Kein Zweifel, eine Karrierefrau. Aber man möchte ihr unter die Arme greifen. Los Angeles, 18.07 Uhr.

Oder das Englisch von Armin Mueller-Stahl. Ein Taxifahrer in New York, er kommt aus der DDR, dort war er ein Clown. Er kann kein Englisch. Er weiß nicht, wie man die Automatik bedient. In New York kennt er sich auch nicht aus. „D is for Drive“, erklärt ihm Yo-Yo, ein Schwarzer, der nach Brooklyn will. Und setzt sich selbst hinters Steuer. Die beiden versuchen, sich zu verständigen. Sie tauschen ihre Namen aus, sie probieren Wörter, „cool“ und „cold“ und „Helmut“ und „fuck you“. Gebrochenes Englisch, gebrochenes Deutsch. Fremde Sprachen sind komisch. Sie lachen, wenn einer den andern versteht. Sie sitzen im Taxi und buchstabieren sich ihr Leben vor. New York, 22.07 Uhr.

Oder die Augen von Béatrice Dalle. Die Pupillen sieht man nicht, sie ist blind. „Normalerweise tragen Blinde dunkle Brillen“, sagt Isaach de Bankolé, der Taxifahrer. „Ich habe noch nie eine Blinde gesehen“, sagt Béatrice Dalle. Sie befühlt ihre aufgeworfenen Lippen und zieht sie mit einem Konturenstift nach. Und erkennt, daß Bankolé ein „Ivorien“ ist. Einer von der Elfenbeinküste. Aber „Il voit rien“ heißt auch, daß er nichts sieht. Paris, 4.07 Uhr.

Oder die Geschwindigkeit von Roberto Benigni. Sitzt hinterm Steuer und fährt die Einbahnstraßen in verkehrter Richtung, entwirft eine Philosphie der Einbahnstraßen und erzählt von seinen sexuellen Obsessionen. Obszöne Shortstories, laut und häßlich, man hält es kaum aus. Sein Fahrgast ist Pfarrer. Rom, 4.07.

Oder die Kälte von Helsinki. Matti Pellonpää — man kennt ihn von Kaurismäki — hat den letzten Fahrgast abgesetzt. Der Mann steht vor seiner Haustür, er will nicht heim, dort wartet das Unglück. Langsam geht er in die Hocke, setzt sich in den Schnee, betrunken, verzweifelt, frierend. „Guten Morgen, Aki“, sagen die Nachbarn. Am Himmel ein fahles Licht. 5.07 Uhr. Es wird Tag in Night on Earth.

Und die Musik von Tom Waits. Eigentlich sind es nur vier Töne. Ein verminderter Dreiklang, dann die Auflösung zum Moll-Akkord. Immer wieder, nur leicht variiert. Wenn es nicht so traurig wäre, könnte es einen einlullen. Die Melodie geht einem nach.

Jim Jarmuschs Night on Earth: fünf Episoden, fünf Taxifahrten, fünf kleine Kostbarkeiten. Alles geschieht in derselben Nacht, an verschiedenen Orten. Ein Taxi, ein Fahrer und ein, zwei, drei Fahrgäste, weiter nichts. Und doch eine halbe Reise um die Welt: Komisches, Tragisches, Slapsticks, Wortwitz und wortlose Blicke. Die Gespräche handeln von der Einsamkeit und vom Sehen, von Liebe und Tod. Was den Menschen zum Menschen macht. Aber sie bleiben flüchtig, wie die Musik aus dem Off, wie die Bilder der Städte — eine Telefonzelle, eine Ampel, Leuchtreklame. Night on Earth erzählt die Geschichte einer Nacht, in der man nicht ins Bett geht: die Fröhlichkeit am Anfang, die Albernheit, wenn es spät wird, das Verdrängen der Müdigkeit. Dann wird es hell, und plötzlich sieht alles so häßlich aus. Man müßte es nachbuchstabieren können: So beiläufig, wie Jim Jarmusch einen staunen macht über die seltsame Gattung, der wir angehören.chp

Jim Jarmusch: Night on Earth, mit Gena Rowlands, Winona Ryder, Armin Mueller-Stahl, Béatrice Dalle, Roberto Benigni u.v.a., USA 1991, 126 Min.

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