: Der Fall Fink
■ betr.: Berichte in der taz vom 30.11.91 / Zur möglichen Vergangenheit ehemaliger DDR-Menschen
betr.: Berichte in der taz vom 30.11.91
Jetzt gibt es ja Grund zur Vermutung, daß Finks Stasi-„Mitarbeit“ in Berichten bestand, die Dritte über ihn angefertigt haben. Die Grünen/ Bündnis90 haben's herausgekriegt.
Daß die Kirchenleute zum Teil ohne schriftliche oder mündliche Übereinkunft in die Stasi-Kartei aufgenommen wurden, erwähnte Joachim Gauck freilich bereits am letzten Freitag in der öffentlichen Sitzung des Konzils der Humbold-Universität. Er persönlich könne sich bei Fink (wie zuvor bei de Maizière) durchaus vorstellen, daß sie von der Stasi ohne ihr Wissen als Informatnen ausgenutzt wurden. Seine Behörde sei eben allein für die Darstellung der Aktenlage zuständig — nicht für deren Bewertung. Die sei Sache der antragstellenden Behörde, in diesem Fall des Wissenschaftssenators. Acuh darüber hinausgehende Zeugenbefragungen könne seine Behörde leider nicht leisten. So habe die Auskunft seiner Behörde lauten müssen, aufgrund der bisherigen Aktenlage sei Fink seit 1969 als IM tätig gewesen.
Die Gauck-Behörde ließ also durchaus den vorläufigen Charakter ihrer Stellungnahme erkennen. Taz- Leser konnten dies allenfalls nach aufmerksamer Lektüre dem „Debattenbeitrag“ des TU-Planungsreferenten Karl Schwarz entnehmen (und das auch nur die Berliner taz-Leser), leider aber nicht den Berichten von der Konzil-Sitzung. Da schreibt Wolfgang Gast vielmehr, weil die entsprechenden Stasi-Akten vernichtet worden seien, lasse sich nun nicht mehr überprüfen, ob Fink tatsächlich keine Verpflichtungserklärung unterschrieben habe. Und suggestiv setzt er hinzu: Daß frühere inoffizielle Mitarbeiter der Stasi heute ihre Tätigkeit leugneten, sei —mit Berufung auf Gauck-Behördendirektor Geiger— kein Einzelfall. Immer schön nach dem Grundsatz: Im Zweifel für den Glauben an die Stasi-Akten, mit dem Segen von oben, amen.
Durch die Veröffentlichung von Finks Stasi-Akten wurde in der Versammlung auch bekannt, daß Nachbarn als Spitzel eingesetzt worden waren. Auch davon in der taz kein Wort. Warum mußten erst die Grünen/Bündnis90 hier nachhaken?
Es ist durchaus ehrenhaft, daß die taz eine entschiedene Haltung gegenüber den Stasi-Machenschaften einnimmt. Aber eben deshalb kann sie es sich nicht leisten, so voreingenommen, ja fanatisch, einem selbst von der Gauck-Behörde nur nahegelegten Aktenpositivismus aufzusitzen und die Ungereimtheiten leichtfertig in den Wind zu schlagen. Ulrich Müller-Schöll, Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Publizistik der FU, (West-)Berlin
Zur möglichen Vergangenheit ehemaliger DDR-Menschen
Ob Professor Fink nun tatsächlich eine Unterschrift geleistet hat oder nicht, ist unwichtig; die Beantwortung dieser Frage kann weder für eine Entscheidung über seine heutige Tätigkeit noch für das Verständnis unserer Vergangenheit genutzt werden. Gefragt werden muß, was Menschen zum Beispiel in der DDR dazu bewegte, etwas zu tun und was aus diesen Menschen wurde oder werden kann.
Viele von denen, die sich in der DDR in irgendeiner Weise in gesellschaftliche Entwicklungen einzumischen versucht haben, hatten zum einen eine, oft sehr persönliche und verschwommene, „Vision“ vom künftigen Zusammenleben, handelten aber zum anderen immer in einem konreten Umfeld, in welches sie zufällig gerieten oder sich bewußt aus ihrer Situationsanalyse heraus stellten. Sowohl bezüglich des Umfeldes als auch der Situation gab es in der DDR vor allem Fehleinschätzungen, von der „innerparteilichen“ bis zur tatsächlichen Opposition. Wie es zu diesen Fehleinschätzungen kam, ob es sich vielleicht um ein Problem aller Opposition (auch in der alten und neuen Bundesrepublik) handelt, dazu scheint es die verschiedensten Meinungen zu geben, aber keine befriedigende Antwort.
Es gab die kompromißlosen Oppositionellen, die vielleicht am meisten dieses System durchschauten, weil sie es am unmittelbarsten, am eigenen Leib erleben mußten. Ich gehörte nicht zu ihnen, bis zum Schluß nicht, als ich einige von ihnen schon kannte. Ich gehörte zu denen, die meinten, man müßte Kompromisse machen, um überhaupt etwas zu erreichen, daß kompromißlose Opposition nichts nützt. Zu Kompromissen waren viele bereit, in unterschiedlichem Maße, je nach dem, in welcher Situation, in welchem Umfeld man sich glaubte, auch, welche „Vision“ man hatte. „Etwas erreichen wollen“, heißt auch, „Erfolg haben wollen“, in diesem Zwielicht schließt man Kompromisse.
Was dem einen noch als annehmbarer Kompromiß erscheint, ist für den anderen schon ein fauler, aber keiner kennt das Maß, vielleicht weil man die Fragwürdigkeit des abzusehenden „Erfolgs“ und damit des Kompromisses fühlt, aber sich nicht eingesteht. Die Zusammenarbeit mit der Staatssicherheit kann ein solcher Kompromiß sein, sie kann aus einer Reihe von Fehleinschätzungen, aus einem besonderen Umfeld, dem Wunsch, erfolgreich zu sein, entstanden sein.
Seit Herbst 1989 wurden nicht nur unsere Fehler offensichtlich, schnell wurde auch klar, daß die neue Situation so anders gar nicht ist. Wieder „Visionen“, wieder das individuelle Umfeld, in das man sich geworfen sieht oder sich zu bringen sucht, wieder Kompromisse, um „wenigstens etwas zu erreichen“, um Erfolg zu haben. [...] Ich denke, daß diejenigen, denen die Faulheit ihrer früheren Kompromisse bewußt werden mußte, sich selbst gegenüber heute mißtrauischer sein könnten. Weshalb sie auch Verantwortung übernehmen oder behalten sollten. Und — es gibt keine besseren. Jörg Friedrich,
Kronskamp bei Rostock
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen