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All About Me!

■ Die Performance-Künstlerin Lindy Annis im »Checkpoint«

Who am I?« — der sprichwörtliche Balken im Auge, wenn es um die objektive Betrachtung der eigenen Person geht, macht Lindy Annis sichtlich zu schaffen. »Am I Betty Ford, am I Margaret Spicer, am I Shirley Temple, am I...?« — Außer der Geschlechtszugehörigkeit scheint Lindy keinerlei Gemeinsamkeit mit den aufgezählten Persönlichkeiten und Phantasiefiguren zu haben.

Was Tausenden buddhistischer Mönche Anlaß zu jahrelanger Meditation ist, kann auch sie nicht in ein paar Sätzen auf den Punkt bringen. Die Frage nach dem Ich bleibt unbeantwortet, die Künstlerin wechselt den Stuhl.

Dabei ist Lindy Annis sich selbst und damit ihrem Ich in einem Maße treu, das im Showgeschäft zu den großen Ausnahmen zählt. Kaum jemand bewegt sich in den eigenen vier Wänden derart unprätentiös, wie Lindy das auf der Bühne tut. Mit ihren großen klobigen Schuhen und einer Hose, die mindestens eine Nummer zu weit geraten ist, steht sie auf dem ersten von fünf roten Holzstühlen, gönnt uns nicht die Spur eines Lächelns und startet nach einem knappen »good evening« ihr selbstgeschriebenes Nummernprogramm.

Für Lyndy Annis, Performancekünstlerin aus New York und schon seit 1985 in Berlin ansässig, ist amerikanische Überheblichkeit ein Fremdwort. Um ihrem deutschsprachigen Publikum ein wenig auf die Sprünge zu helfen, gibt's anfangs ein wenig Englischunterricht: »All about me — English in five steps«. Die Künstlerin bietet ihre Wenigkeit Lindy Annis als Anschauungsmaterial zum Erlernen einer Weltsprache an. Gleichzeitig macht sie dabei deutlich, daß es ein Ding der Unmöglichkeit ist, eine allgemein gültige Aussage über sich selbst zu machen.

Dem Phänomen Lindy auf der Spur, bekommen Kinn, Nase, Arme, Beine und was sonst noch so an der Dame dran ist, auf Stuhl Numero zwei englische Namen verpaßt. Auf dem dritten Stuhl präsentiert sie ein Schild mit der Aufschrift: I do / I don't. Wir erfahren, daß sie sich zwar als Künstlerin bezeichnet (I do), aber nicht von der Kunst leben kann (I don't), außerdem keinen Kartoffelbrei mag und bisher noch nicht den Amazonas bereiste. Zum Abschluß von English lesson und Anniszyklus gibt's eine schöne und eine traurige Geschichte: von einer Silvesternacht, in der Lindy ihren ersten Kuß bekommt und von einer mißglückten Verabredung, bei der Lindys Freund sie buchstäblich im Regen stehen läßt.

Lindy Annis verwirrt mit einer Mischung aus Distanziertheit und Nähe. Sie erzählt von sich, gibt Intimes preis, bleibt aber dennoch unpersönlich. Mit einem formalistischen Sprachstil, der in erster Linie mit Wiederholung arbeitet, einer Stimme, die niemals die Tonlage wechselt und einem Gesicht, das nur einen Ausdruck zeigt, schafft sie eine große Distanz zum Inhalt ihrer Texte und auch zum Zuschauer. Obwohl diese Mittel die Eigenart des typischen Annisschen Bühnenstils bedeuten, könnte sie sich getrost etwas mehr Mut zum emotionalen Bekenntnis erlauben.

Wenn sie nicht gerade in den großen Schuhen lindymäßig um die roten Holzstühle schlendert, sind auch ihre Bewegungen, mit denen sie Teile ihrer Texte optisch umsetzt, stark stilisiert. Musikalische Einspielungen im Wechsel mit rein sprachlichen Passagen geben ihren Auftritten die eigenwillige Dynamik.

Lindy liebt Geschichten. Da geht es um den richtigen Stuhl, das erträumte Heim, um Mr. Right, der im entscheidenden Moment das Lokal verläßt, um Ballettschuhe, einen Nußknacker und anderes. Witzig und aus dem Rahmen der anderen Nummern fallend wirkt eine Diashow über den Ulysses von James Joyce. Was diesem »highly respected book«, das den Ablauf eines einzigen Tages zum Inhalt hat, selbst an einem einzigen Tag widerfährt, ist Thema dieser Bilderserie. Jantje Hannover

Weitere Vorstellungen heute und am 14. 12. um 19.30 Uhr im »Checkpoint«, Leipziger Straße 55, Berlin- Mitte

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