Keine humanitäre Safari

■ Neudecks „SOS Cap Anamur“, Mittwoch, 20.15 Uhr, ARD

In gnadenlosem Rhythmus wechseln die Schauplätze. Eben noch haben wir den Indischen Ozean vor Südostasien auf der Suche nach Vietnamesischen „Boat-people“ durchkreuzt, da schlägt uns schon die tropische Hitze des Sudan ins Gesicht. Abkühlung läßt nicht auf sich warten. Mit einem LKW-Konvoi geht es 7.000 Kilometer durch Rußland nach Sibirien, um Hilfsgüter in eine von der Versorgung abgeschnittene Stadt zu transportieren. Was das „A-Team“ auf RTLplus mit der blasierten Pseudoeleganz aufgeblasener Comic-Figuren erledigt, wird bei der ARD zur schweißtreibenden Arbeit. Statt dem Knattern von Spielzeug-Maschinenpistolen ertönt das Heulen von echten Jagdflugzeugen, die schon mal Lastwagen mit Hilfsgütern beschießen. Rupert Neudeck, Chef der Hilfsorganisation „Cap Anamur“, die seit zwölf Jahren gegen akute Notstände kämpft, steht immer an vorderster Front und kommentiert selbst. Seine Sätze sind keine geschliffenen Worthülsen, die aus dem entsicherten Mundwerk eines Radiosprechers fallen. Im Eifer des Gefechts gegen Hunger und Not rutscht ihm schon Mal ein Pathos dazwischen: „Wie eine Nußschale schwamm das kleine Boot auf dem Ozean.“ Doch das Ganze kommt nie in die Nähe einer humanitären Safari für bilderhungrige Fernsehzuschauer. Die Bilder vom Track nach Sibirien sind alles andere als telegen. Schmutziger grauer Schnee türmt sich am Straßenrand. Bei 30 Grad Kälte frieren Neudeck die Barthaare ein. Unwillkürlich rückt man näher an den heimischen Ofen. Und der Lohn für diese spätindustrielle Ritterlichkeit? „Die Vergünstigung des humanitären Arbeiters ist eine Landschaft, die besoffen macht“, kommentiert Neudeck eine Fahrt durch Somalia. Unvermittelt folgen Bilder aus einem in desolatem Zustand befindlichen sibirischen Krankenhaus. Wo uns die Nachrichten nur einen dosierten Blick zumuten, um diskret zur Wetterkarte auszublenden, wird das ganze Ausmaß menschlicher Not offenbart. Endlose 90 Minuten sehen wir hungernde Menschen und zuweilen zerfetzte Leiber. Neudecks rau geschnittener Film ist Fern-Sehen wie es wirklich sein könnte, ein unverblümter Blick in die Ferne. Handwerkliche Mängel und kleine Bildstörungen zeigen, daß dieses Programm nicht „gemacht“ ist. Eine derart geballte Ladung ins Programm zu nehmen, ist mutig. Alles, was danach folgt, ob Tagesthemen oder Magnum, erscheint gegen diese Bilder in seiner Relevanz fragwürdig.

„Wenn Ihr Sohn oder Ihre Tochter zu uns gehen will, lassen Sie sie oder ihn“, wendet sich Neudeck plötzlich direkt an die Zuschauer in der Wohnstube. Wahrlich ein Horrorszenario für bundesdeutsche Eltern. Helfen, das ist ja alles in Ordnung. Aber warum machen das nicht die anderen, die im Fernsehen? Manfred Riepe