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Ach, Manhattan

■ O-Töne von Annette Schäfer: „Tompkins Square“, Sa., SFB 3, 9.05 Uhr

Für Arty, den Straßenbewohner von Tompkins Square, New York, liegt der Fall bestechend simpel: „The land is for the people, I mean, the land is free!“ Armer Arty, eigentlich sollte er schon ahnen, was wir in Annette Schäfers O-Ton-Streifzug durch sein Revier erfahren. Der amerikanische Traum von Unbegrenztheit und Freiheit hat abgedankt. Für die Obdachlosen vom Tompkins Park jedenfalls endete er am 3. Juni 1990 mit einem unmenschlichen Rausschmiß, einem mannshohen Stacheldrahtzaun und einem Polizeicordon. Bisher waren die rund 300 Leute „hauslos“. Die kostspielige Säuberungsaktion (bisher sechs Millionen Dollar) vertrieb sie aus ihrem Bezirk und machte sie „heimatlos“. Die Botschaft: unbegrenzte Möglichkeiten, muß man sich eben leisten können.

Arty aber träumt weiter — die singende Stimme verrät uns, daß er noch jung ist. Doch ob Junior, der 62jährige, ein dynamischer Mitstreiter ist? Eher als Zaungast beobachtet er die spielerischen Protestaktionen von Arty und den Jungen. Die hielten neulich im Stadtrat den gespannten Journalisten statt des erwarteten Statements einen Spiegel vor die Nase: „Ihr, die Gesellschaft, macht die Spielregeln“, sollte das heißen und mit der angedichteten Freiheitsromantik der Wohnungslosen aufräumen.

Schnitt. Eine perlende Gershwin- Passage ruft den unausrottbaren Manhattan-Mythos ins Bewußtsein. So, wie ihn die zahlungskräftigen Zuwanderer aus Europa kennen. Leute, wie die emsige Ingrid aus dem Schwarzwald, die albern ins Mikro kichert und als Kontrast zur Stripperin in Rosa von Praunheims Film Überleben in New York sehr effektvoll gewesen wäre. Sie leitet ein Restaurant, in dem sie Maultäschle, Schweizer Röschti und auch mal Tortellini auftischt — für Gäste, die mindestens dreißig Dollar locker machen können. Hintergründe um die „stinkig-dreckige Gegend, die vor vierzehn Monaten, als ich ankam“, nicht ganz so eklig war, interessieren sie wenig. Wenn bloß die Kundschaft nicht empfindlich ist...

Auch Anna Havemann, ebenfalls neu in dieser „Up-and-coming“- Gegend, schwärmt lieber von ihrer tollen Aussicht. Die „homeless people“ da unten im Park, „die tun uns weh — und wenn es regnet, sind wir schon pikiert, daß die da unter ihren Plastiktüten sitzen.“ Doch auch für Anna Havemann ist die Realitätsbewältigung bestechend simpel. Sie schaut aus Selbstschutz einfach weg und widmet sich der allabendlichen Gretchenfrage: „Soll ich lesen, fernsehen oder lieber den Sonnenuntergang bewundern?“

Ob es gegen so viel Ignoranz noch eine Chance für die Obdachlosen gibt? Frau Schäfer hat immerhin einen Versuch unternommen, das Schweigen zu brechen. Tompkins Square — ein Feature, das nicht zuletzt eine exemplarische Entwicklung zeigt, die Großstädte in aller Welt betrifft und auch in der frühen Sendestunde das Einschalten lohnt. Gaby Hertel

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