: In Serbien bröckeln die Fronten
■ Regierungschef tritt zurück/ Wehrdienst auf unbestimmte Zeit verlängert/ Kroatische Offensive
Berlin (taz) — In Jugoslawien zeichnen sich nach einem halben Jahr Bürgerkrieg immer deutlicher Risse an den politischen Fronten ab. Nachdem vorgestern in Zagreb der Präsident der Kroatischen Demokratischen Partei, Vladimir Veselica, von seinem Amt als Wirtschaftsminister wegen Differenzen mit den Koalitonspartnern zurückgetreten ist, warf gestern in Belgrad der serbische Regierungschef Dragutin Zelenović das Handtuch. In der serbischen Metropole bläst dem Präsidenten Slobodan Milosević ein immer schärferer Gegenwind ins Gesicht. Die demokratische Opposition wirft ihm vor, die ehemaligen jugoslawischen Bundesorgane faktisch übernommen zu haben. „Das Parlament, das Staatspräsidium, die Bundesregierung und die Nationalbank haben damit ihre Legitimität verloren“, stellt sie nüchtern fest. Vor einem Monat hatte das serbisch dominierte Bundesparlament dem jugoslawischen Regierungschef, dem Kroaten Ante Marković, das Vertrauen entzogen, am Mittwoch trat nun mit Bundesaußenminister Budimir Loncar ein weiterer Kroate aus dem praktisch bedeutungslosen Kabinett aus. Sein Nachfolger heißt Milivoje Maksić und ist Serbe.
Auch von der nationalistischen Opposition wird Milosević heftig attackiert. Die von Vuk Drasković angeführte „Serbischen Erneuerung“, die selbst großserbische Ambitionen hegt, wirft dem Präsidenten vor, in Kroatien einen gnadenlosen Krieg zu führen, der nicht den nationalen Interessen des serbischen Volkes entspreche. Und auch im serbischen Süden, im zu 90 Prozent von Albanern besiedelten Kosovo, brodelt es weiter. In Genf wurde ein Dokument des Koordinationsrates, des Vertretungsorgans sämtlicher albanischer Parteien, publik, in dem der Zusammenschluß des Kosovo mit Albanien in einem eigenständigen Staat gefordert wird.
Slobodan Milosević, dessen Partei heute einer Umfrage von Radio Belgrad zufolge gerade noch mit 30 Prozent der Stimmen rechnen könnte, appellierte in dieser Situation an das serbische Volk, die „obskuren Kräfte“ zu bekämpfen, die Serbien und Jugoslawien bedrohten. „Das Gespenst des Faschismus klopft an unsere Tür“, sagte er anläßlich einer Zeremonie zum 50. Jahrestag der serbischen Erhebung gegen die Nazis, „wir haben keine Wahl, so wenig wie wir sie vor einem halben Jahrhundert hatten.“
Doch stößt solche Rede in Serbien selbst immer häufiger auf taube Ohren. 64 Prozent sind der erwähnten Umfrage zufolge dafür, daß der Frieden „um jeden Preis erhalten werden muß“. Mit dieser Zweidrittelmehrheit muß auch die Armee rechnen. So hat denn das serbisch dominierte jugoslawische Rumpfstaatspräsidium den Wehrdienst nach einem Bericht der seriösen Belgrader Zeitung 'Borba‘ von gestern auf unbestimmte Zeit verlängert. Zudem hat es sämtliche serbischen Freischärler formell dem Oberbefehl der Armee unterstellt. Kurz zuvor hatte der oberste Militärstaatsanwalt zugegeben, daß etwa 10.000 Reservisten ihren Einberufungsbefehl ignoriert haben.
Auch an der militärischen Front sah es für die Armee in den letzten Tagen schlecht aus. Sie mußte den Verlust der kroatischen Stadt Lipik in Westslawonien einräumen, die sie erst in der vergangenen Woche nach einer heftigen Panzerschlacht erobert hatte. Radio Zagreb meldete zudem, kroatische Einheiten hätten in der Nähe der zurückgewonnenen Stadt dreizehn Basen serbischer Tschetnik-Freischärler ausgehoben. thos
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen