Rußland im Blick, das Klima nicht

Euro-Energiecharta vor der Verabschiedung: Ungehinderter Zugang zu den Quellen verlangt  ■ Aus Genf Andreas Zumach

„Es geht ganz offensichtlich vor allem darum, den westlichen Energiekonzernen eine profitable Ausbeutung der riesigen sowjetischen Öl- und Gasreserven zu ermöglichen. Damit wird die Verwendung fossiler Energien in Europa auf Jahrzehnte hin festgeschrieben — ohne Berücksichtigung von Umwelt- und Klimagesichtspunkten.“

Dieses vernichtende Urteil des politischen Direktors von Greenpeace, Paul Hohnen, gilt einem Dokument, das 34 europäische Staaten sowie die USA und Kanada am Montag und Dienstag nächster Woche in Den Haag unterzeichnen wollen: die „Gesamteuropäische Energie- Charta“. Vorgeschlagen wurde die Erarbeitung dieser Charta ursprünglich von der EG-Außenministertagung im Juni 1990 in Dublin. Seitdem verhandeln die 36 Regierungen, zumeist vertreten durch ihre Energie- oder Wirtschaftsminister, hinter verschlossenen Türen.

Auch für die Bonner Regierung hatte das Wirtschaftsministerium die Federführung, das Umweltministerium war nicht beteiligt. Nichtregierungsorganisationen wurden von den Verhandlungen ausdrücklich ausgeschlossen. Entsprechend ist das Ergebnis.

Hauptziel der noch nicht veröffentlichten Charta, deren 14seitiger Text der taz vorliegt, ist es, „die Sicherheit der Energieversorgung zu verbessern“ sowie „die Effektivität der Produktion, Umwandlung, des Transportes, der Verteilung und des Gebrauchs von Energie zu erhöhen“. Es geht „um die Entwicklung eines effizienten Energiemarktes innerhalb Europas“ sowie eines „besser funktionierenden globalen Marktes“. Angestrebt werden der „ungehinderte Zugang zu Energiequellen“, und ihre „Ausbeutung“ auf rein „kommerzieller Basis“. Im Interesse eines „offenen, kompetitiven Marktes“ für Energieprodukte sollen „technische, administrative und andere Barrieren“, die Handel und Markt behindern „beseitigt werden“.

Umweltverbände mußten draußen bleiben

Die Unterzeichnerstaaten bekräftigen mit der Charta ihre „Entschlossenheit, durch die Einführung von Marktprinzipien ein günstiges Klima zu schaffen für Energieunternehmen und für den Fluß von Investitionen und Technologien“. Das ist das einzige Mal, daß das Wort — Klima — im gesamten Text überhaupt vorkommt.

Die Verabschiedung der Charta erfolgt zu einem Zeitpunkt, da die bankrotte ehemalige UdSSR mit dem Ausverkauf ihrer gesamten Rohstoffe und Bodenschätze begonnen hat. Die Union hat zusammen mit Südafrika die größten Reserven an industriell und strategisch wichtigen Metallen:70 Prozent des Goldes, 93 Prozent des Platin, Chrom zu 64, Vanadium zu 82 und Rhodium zu 95 Prozent.

Außerdem lagern vor allem in West-Sibirien mehr Öl- und Gasvorräte, als seit dem Zweiten Weltkrieg weltweit verbraucht wurden. Allein die Ölvorräte werden auf über 100 Milliarden Barrel geschätzt. Als gesichert gelten 57 Milliarden. Zum Vergleich: Saudi-Arabien, heute einer der größten Erdölproduzenten der Erde, hat seit Beginn der Ausbeutung seiner Vorräte in den 30er Jahren 62 Milliarden Barrel aus der Erde geholt. Und die westlichen Ölkonzerne stehen in den Startlöchern. Allein in diesem Jahr haben 36 von ihnen eine Niederlassung in Moskau eröffnet.

Greenpeace und andere Umweltschutzorganisationen kritisieren, daß die Charta in ihrer jetzigen Fassung sämtliche wissenschaftlichen Erkenntnisse über die Folgen der Verbrennung fossiler Energien für die Erwärmung der Erde übergeht. Die Charta stehe „im Widerspruch zu allen derzeitigen Bemühungen, in einer Klimakonvention die Reduzierung der Emission von Kohlendioxid und anderen Treibhausgasen zu vereinbaren“, erklärte Paul Hohnen am Mittwoch in Genf.

Anfang der Woche wurden in der UNO-Stadt die Verhandlungen auf Regierungsebene über die Klimakonvention wiederaufgenommen, die nach bisherigen Absichtserklärungen bei der UNO-Konferenz „Umwelt und Entwicklung“ (UNCED) im Juni 1992 in Rio de Janeiro unterzeichnet werden soll. Die Umwelt- und die Energieministerien arbeiteten „offensichtlich nebeneinander oder gegeneinander“, erklärte Hohnen. Greenpeace fordert, die Energie-Charta um einige Punkte zu ergänzen:

Priorität soll der Vermeidung der Energieverschwendung gelten; dafür sollen europaweit Technologien zur effektiveren Nutzung eingesetzt werden.

Ausdrücklich sei in die Präambel der Energiecharta wie in die Ausführungsbestimmungen auf das Ziel der Weltklimakonferenz von 1990 in Genf hinzuweisen: vor allem, die Konzentration von Treibhausgasen in der Atmosphäre auf dem jetzigen Stand zu stabilisieren.

Die Charta soll explizit benennen, daß bei der Verbrennung fossiler Energien Umweltbelastungen auftreten. Die Kosten für die Begrenzung oder Vermeidung dieser Umweltbelastung sollen anerkannt und bei der Kalkulation von Energiepreisen berücksichtigt werden.

Festzusetzen seien schließlich nationale und europaweite Ziele für die Entwicklung und Förderung von erneuerbaren Energien sowie von Energie-Einsparungsmaßnahmen.