: Nur ohne Frau wirste was
■ Die Taxifahrerin (4): Fahrgast aus dem Männerwohnheim
Guten Tag, ich möchte nach Mariendorf in die Kurfürstenstraße. Die Tasche nehme ich mit auf den Rücksitz. Ne, ne, hat nicht zu lange gedauert, hier muß jeder Taxifahrer erst mal suchen. Gibt ja nur das Männerwohnheim und die Baustelle auf dem Weg. Kommt man nicht so oft hin.
Ob ich in dem Heim wohne? Aber klar doch, schon seit 21 Jahren. Wäre ja schön blöd, mein Geld zum Fenster rauszuwerfen. Kochnische, Waschbecken, alles da und das ganze für schlappe 220 Eier. Was brauch' ich mehr, bin ja sowieso kaum zu Hause, schiebe Doppelschichten, wenn ich nicht grade kürzertreten muß. Habe schon zwei Herzinfarkte hinter mir. Aber immer wieder auf die Beine gekommen, mich haut nichts so leicht um, das könn'se mir glauben, Hauptsache die Kasse stimmt. Was ich denn mit all dem Geld mache? Na, Taxifahren zum Beispiel, hab' noch nie 'ne U-Bahn von innen gesehen, hab' ich nicht nötig. Oder im Urlaub 'ne Fernreise, mit allen Schikanen, Bahamas und so. Nur Kreuzfahrten mache ich nicht, würde mir zu sehr an die Nieren gehen, bin früher zur See gefahren. Und dann hier hängengeblieben. Wie das kam? Na, ich wollte meinen Kumpel Atze besuchen, der war vorher schon abgesprungen, und dann hat er mich überredet. War 'ne schöne Zeit damals, da haben wir beide im Wohnheim gewohnt. Heute ist alles so unpersönlich, die meisten bleiben auch nicht lange.
Ob ich nie Familie hatte oder wollte? Sie sind aber neugierig! Suchen Sie etwa einen Mann? Womöglich haben Sie auch noch Kinder. Da sind Sie bei mir aber an der falschen Adresse! Wenn das so ist, fahren'se am besten gleich rechts 'ran, damit ich aussteigen kann. Man kann nie vorsichtig genug sein heutzutage.
Was, Sie wollen gar keinen? Na, denn ist ja gut. Ne, ne, was dabei raus kommt, weiß ich, habe ich schon früher bei meinen Eltern gesehen. Hab' mir immer geschworen: nie 'ne Frau und nie ohne Geld. Nur so kannste was werden!
Na, und dann bei Atze. Was hat er nun von der ganzen Schufterei? 20 Mark Taschengeld die Woche und abends muß er antreten zum Sockenzählen, nur weil er zweimal welche auf der Baustelle hat liegenlassen. Hat 'ne Frau mit vier Kindern geheiratet, weil er selber keine kriegen kann. Muß alles abliefern, das muß man sich mal vorstellen. Die Kinder kriegen auch nicht viel, aber zwei Appartements in Spanien hat'se gekauft, fürs Alter sagt sie immer. Hoffentlich erlebt er das noch, schiebt auch immer Doppelschichten, weil es zu Hause zu laut ist. Kann sich nicht durchsetzen, der Junge. So was passiert mir nicht!
Ja, ja, ich kann zufrieden sein, wenn ich mal unter Einsamkeitsgefühlen leide, brauch' ich mir nur andere Leute vorzustellen, dann geht's mir wieder gut. So leicht laß' ich mich nicht unterkriegen, hab' auch gar keinen Grund dazu. Kann mir alles leisten.
So, nun halten Sie bitte hier rechts an der Kneipe. Bin gespannt, ob Atze da ist. Wir wollen nämlich ins Sauerland mit dem Kegelverein übers Wochenende. Letztes Mal durfte er dann doch nicht. Ne, ne, den Zehner können Sie behalten. Ich habe genug Geld. Barbara Freisleben
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