Vom Überleben während der Barbarei

■ »Für Freudensprünge keine Zeit« — Biographische Erinnerungen von Eugen Hermann-Friede/ Nicht nur für Berliner

Voller Verständnis für menschliche Schwächen und ausgestattet mit viel Gespür für unfreiwillige Komik: spannend und lebendig erzählt Eugen Hermann- Friede in seinem Buch Für Freudensprünge keine Zeit seinen Überlebens- und Widerstandskampf während der Nazi-Diktatur und in den sich anschließenden Nachkriegsjahren.

Hier hat einer das Elend der deutschen Geschichte während zweier Diktaturen als Verfolgter erlitten. 1926 in Kreuzberg geboren und aufgewachsen, muß er als 16jähriger auf dem Jüdischen Friedhof Weißensee arbeiten. Entsprechend den »Nürnberger Rassegesetzen« gilt Eugen als »Volljude«, denn seine aus Rußland stammenden Eltern waren beide jüdischer Herkunft. Da der zweite Ehemann der Mutter als »reinrassiger Arier« galt, schien sie zunächst vor Verfolgungen sicher. Alle Bemühungen, durch Blutproben, Schädelmessungen und eidesstattliche Erklärungen den Stiefvater zu Eugens Erzeuger erklären zu lassen, scheitern jedoch an den »Rassevorschriften« des nationalsozialistischen Terrorstaates. Eugen muß deshalb als einziger in der Familie den gelben Judenstern tragen und bekommt die rassistischen Gemeinheiten seiner Umwelt ganz unmittelbar zu spüren. Als er Anfang 1943 auf dem Weg von seiner Wohnung in der Belle-Alliance-Straße (heute Mehringdamm) nach Weißensee in eine Kontrolle der Gestapo gerät, befürchten seine Eltern, daß auch er, wie schon viele andere vor ihm, bald deportiert werden würde.

Um der Gefahr einer Denunziation zu entgehen, wohnt er mal als »ausgebombter Neffe« bei Bekannten, mal bei Schwarzhändlern. Schließlich landet er bei Frida und Hans Winkler in Luckenwalde. Beide sind Hitler-Gegner und haben ein Netz von Kontakten zu hilfsbereiten Freunden aufgebaut.

Eines Tages bitten zwei andere Illegale, die aus Theresienstadt flüchten konnten, bei Winklers um Unterkunft: Fancia Grün und Werner Scharff. Sie wollen eine Widerstandsgruppe aufbauen, die sich den Namen »Gemeinschaft für Frieden und Aufbau« gibt. Sie besteht aus jüdischen und nichtjüdischen Mitgliedern in Luckenwalde und Berlin. Es gelingt ihnen, Verfolgte zu verstecken und Kettenbriefe in tausendfacher Auflage mit dem Aufruf zum Sturz Hitlers zu verbreiten. Ende 1944 wird ein Großteil der Gruppe verhaftet. Eugen und seine Eltern werden voneinander getrennt. Sein Vater stirbt unter ungeklärten Umständen während der ersten Tage seiner Gestapo-Haft. Seine Mutter wird nach Theresienstadt deportiert, überlebt und kommt Mitte 1945 nach Berlin zurück. Er selbst durchläuft das Potsdamer Gefängnis, die Polizeiwache am Alex und andere Gestapo-Stellen.

Am 23. April 1945 wird er aus einem völlig verschlammten Kellerverlies der Gestapo von einem SS- Schergen abgeholt und wird mit einem gewaltigen Schlag in den Rücken auf die Große Hamburger Straße gestoßen...

Ende gut, alles gut, könnte man denken, aber Eugen hat »für Freudensprünge keine Zeit«, denn nach der Befreiung folgen schon bald neue Repressalien.

Er wird, beeindruckt vom Idealismus der ihm bekannten Kommunisten im Kampf gegen den Faschismus, Mitglied in der KPD. Doch schon 1948 erfährt er am eigenen Leib die diktatorische Wirklichkeit des SED-Regimes: Seine Mutter, ihr neuer Ehemann Ernest Wilkan (ein überzeugter kommunistischer Widerstandskämpfer, der Theresienstadt überlebt hat) und er selbst werden verhaftet.

Dem von der SED als Leiter zweier Textilfabriken in Luckenwalde eingesetzten Ernst Wilkan wird abwechselnd »Spionage« und »Wirtschaftssabotage« vorgeworfen. Der Kern der willkürlichen »Anklage« besteht darin, Ernst Wilkan, seine Frau und Eugen unter Hinweis auf ihre jüdische Herkunft als Sündenböcke für die Versorgungsmisere des SED-Regimes zu präsentieren. Wilkan wird zu zehn Jahren Gefängnis verurteilt und begeht kurz darauf Selbstmord. Eugen und seine Mutter werden nach sechs Monaten Haft ohne Prozeß, Erklärung oder Entschuldigung wieder freigelassen...

Eugen Hermann-Friede kommt ohne Heroisierung und antifaschistische Legendenbildung aus. Sein Buch ist ein — in diesen Tagen leider wieder sehr aktuelles — Plädoyer dafür, rassistischer Barbarei und Diktaturen in jeder Form rechtzeitig mit Zivilcourage entgegenzutreten. Wolfgang Schenk

Eugen Hermann-Friede Für Freudensprünge keine Zeit Metropol- Verlag, Berlin 1991, 222 Seiten, 29,80 DM