: Chile macht Erich Honecker keine Hoffnung
■ Unmittelbar vor Ablauf des Ultimatums der russischen Regierung an Erich Honecker, spätestens am Samstag null Uhr das Land zu verlassen, ließ der Ex-DDR-Chef von seinem derzeitigen Wohnsitz in...
Chile macht Erich Honecker keine Hoffnung Unmittelbar vor Ablauf des Ultimatums der russischen Regierung an Erich Honecker, spätestens am Samstag null Uhr das Land zu verlassen, ließ der Ex-DDR-Chef von seinem derzeitigen Wohnsitz in der chilenischen Botschaft in Moskau aus erklären, er werde sich „mit allen Mitteln“ dagegen wehren, in ein deutsches Gefängnis zu gehen.
Obwohl in dieser Stadt so gut wie nichts ausgeschlossen ist, hätte niemand in Moskau geglaubt, daß ausgerechnet der gepflegte Villenvorort Kuskowo sich zu einem der Hauptkrisenherde der an letzteren nicht gerade armen ehemaligen Sowjetunion entwickeln würde. Hier liegen die beiden geräumigen nüchternen Bungalows der chilenischen Botschaft — abgeriegelt durch einen hohen Gitterzaun. Unbestreitbar hat die inzwischen von der chilenischen Regierung bestätigte Anwesenheit Erich Honeckers auf diesem Gelände zu einem diplomatischen Konflikt auf höchster Ebene geführt. Menschenaufläufe vor den Toren des DDR-Führer- Versteckes blieben allerdings bisher aus, nur einige Journalisten erkundigten sich am Donnerstag abend höflich bei den wachhabenden Milizionären, ob das Ehepaar Honecker nicht an ihnen vorbeigehuscht sei — eine Frage, die von letzteren treuherzig und bedauernd verneint wurde.
Zu Gesicht bekommen haben will dagegen ein Reporter der Tageszeitung 'Rabotschaja Tribuna‘ zumindest Frau Margot, und zwar ebenfalls am Donnerstag in der kubanischen Botschaft. Bekannt ist, daß Kubas Fidel seinem ehemaligen Kollegen politisches Asyl angeboten hat — ein freundschaftlicher Vorschlag, der allerdings bisher von Erich Honecker und Familie mehr oder weniger indigniert zurückgewiesen wurde. Da die chilenische Regierung kundgetan hat, der ehemalige SED- Generalsekretär könne vorläufig „als Gast“ weiterhin in ihrer Moskauer diplomatischen Vertretung verweilen, blieb die Frage: Wie kamen die Honeckers in die chilenische Botschaft hinein, und wie könnten sie wieder herauskommen, nachdem Rußlands Präsident Jelzin dem Ex- DDR-Führer die sichere Ausweisung androhte, falls dieser nicht bis Freitag nacht null Uhr die Russische Föderation verlassen habe.
Auch in die russische Presse ist inzwischen die Nachricht gedrungen, daß die Familie des chilenischen Botschafters Almeyda nach dem Putsch der chilenischen Obristen 1973 in der DDR politisches Asyl fand und sich dort mit den Honeckers anfreundete. Und so verwundert es kaum, daß einige Blätter die Schuld an der Einschmuggelung der Honeckers daher in die eleganten Botschaftersgattinnenschuhe schieben.
Bleibt die Frage nach dem „Hinaus“. Ob Honecker eine Verhaftung drohe, falls er aus der Tür träte, danach erkundigten wir uns am Freitag beim Komitee für Verfassungskontrolle der UdSSR. Dort wies man darauf hin, daß gegen Honecker kein ausdrücklicher Haftbefehl vorliege. Auf die Frage nach den Möglichkeiten, auf dem ehemaligen Staatsgebiet der UdSSR Asyl zu erhalten, teilte man uns mit, daß sich seit den 30er Jahren in der seither vielfach geänderten UdSSR-Verfassung tatsächlich ein Asylparagraph erhalten habe. Damals sei er vor allem auf Antifa-Kämpfer und Mitglieder ausländischer kommunistischer Parteien angewandt worden. Ein Ausführungsmechanismus oder eine Definition der betroffenen Personengruppen existiere allerdings nicht. Während des Zweiten Weltkrieges sei in jedem Einzelfalle eine Entscheidung des Präsidiums des Obersten Sowjet eingeholt worden.
Daß in ihren Augen von politischem Asyl für Erich Honecker nicht die Rede sein könne, da die Anklagepunkte gegen ihn kriminalrechtlicher Natur sind, haben wiederholt Sprecher der russischen Regierung erklärt, die ohnehin das UdSSR- Recht auf ihrem Gebiet für null und nichtig erklärt hat. Wladimir Warow, Mitglied des Gesetzgebungsausschusses der Russischen Föderation, drohte, man werde Honecker im Falle seines Verweilens in Rußland nach dem Verstreichen des Ultimatums „auf übliche Weise aus dem Land entfernen“. Warow sagte aber nicht, „wohin“ und gestand zu, daß man „diplomatischer vorgehen“ müsse — sollte Honecker sich zu jenem Zeitpunkt noch immer auf dem exterritorialen Terrain einer Botschaft in Moskau befinden.
Hat Honecker Jelzin um eine Verlängerung der Verweilfrist gebeten? War in dem Gespräch zwischen Jelzin und Gorbatschow am Freitag vormittag, das eigentlich der künftigen Struktur der einstigen Roten Armee galt, auch von diesem Fall die Rede? Rätsel über Rätsel, aber keine Antworten kursierten gestern in Moskau. Daß Gorbatschow gute Gründe habe, um weiterhin seine Hand über den Ex-Parteikollegen zu halten, behauptete der berühmte Anti-Mafia-Staatsanwalt Telman Gdljan: „Er muß sich selbst vor den möglichen Folgen schützen... Ich habe schon vor zwei Jahren gesagt, daß Gorbatschow und seine Mannschaft nicht abtreten können — weil sie in diesem Falle (für Handlungen während ihrer Regierungszeit — Anm. d. Red.) gerichtlich zur Verantwortung gezogen würden.“
Asyl aus Motiven, die mit alter Parteigenossensolidarität nichts zu tun haben, bot inzwischen General Dschachar Dudajew, Westentaschen-Mussolini des einst innerhalb der Russischen Föderation autonomen Tschetscheno-Inguschetien, dem Ex-DDR-Führer an. Dudajew, der jetzt die Souveränität seines transkaukasischen Miniländchens ausruft, will offenbar dem großen russischen Bruder zeigen, was eine Harke ist. Sein Pressesprecher kommentierte am Donnerstag Dudajevs Motive: Dieser wolle „die Ehre Kohls, Jelzins und Gorbatschows retten“, die sich allesamt in einer kitzeligen Lage befänden. Barbara Kerneck, Moskau
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