Biber, gebratscht

■ Reinhard Goebel und die Akademie für Alte Musik im Kammermusiksaal des Schauspielhauses

Der Kammermusiksaal des Schauspielhauses — ein Ort, der diesen Namen zu Recht trägt — bot am Freitag den angemessenen Rahmen für das erste Heimspiel der Akademie für Alte Musik Berlin nach ihrer Nahost-Tournee. Die Formation ließ sich von Reinhard Goebel anführen, der als Geiger und Leiter der musica antiqua Köln seit Mitte der Siebziger von sich reden machte: er verwandelte manches altbekannte, gemütliche Konzertsätzchen in einen Hochgeschwindigkeitszug mit gerade noch erkennbaren Konturen. Der hörbare Beweis, daß auch alte Instrumente dazu taugen, schnell und sauber zu spielen, beeindruckte allerdings die Szene und — erbitterte ihre Kritiker gleichermaßen.

Weil die Post die Noten an den Absender zurückgeschickt hatte, gab es etwas anderes als geplant. Am Anfang standen Der Pauern Kirchfahrt und die Battaglia des österreichischen Geigenvirtuosen Heinrich I.F. Biber (1644-1704). Das Programm der Kirchenfahrt wurde nicht nur musikalisch dargestellt, sondern auch inszeniert. Bei der Bauernversammlung (1. Satz) lockten der erste Geiger und die Generalbaßgruppe die übrigen Violinen und Violen aus den Kulissen hervor, bei der litaneiartigen Prozession (2.Satz) schritt die Gruppe durch den Saal.

Nach dieser Karikatur führte die Battaglia, eine musikalische Schlachtenschilderung, in eine ernstere Sphäre. Zwar werden — bei einem adligen Auftraggeber selbstverständlich — heldischer Kampfesmut und Siegestaumel sehr überzeugend musikalisch propagiert. Der zweite Satz aber, in den die Stimmen nacheinander in völlig verschiedenen Tonarten einfallen, so daß er in absolutem Mißklang endet, läßt mit damals unerhörtem Chaos die Schattenseite ahnen.

Beide Stücke wurden mit viel Spaß an den von Biber vermehrten geigerischen Effekten wie Schlagen der Saiten mit dem Bogen, Bogenvibrato, Zupfen mit der Griffhand, Verwendung hoher Lagen als Imitation der Kriegspfeife und großem Schwung, aber nicht sehr sauber ausgeführt. Vom Vergnügen am Spiel zeugten auch die Blicke, die sich die Ausführenden zuwarfen.

Goebel, der wegen Fingerproblemen das Geigen aufgegeben hat, hat sich jetzt, wie zu sehen war, aufs Bratschen verlegt. Ab dem folgenden Concerto grosso a-moll op. 6 Nr.4 von Händel schwang er dann auch den Taktstock vor dem zum Kammerorchester angewachsenen Ensemble. Am eindrucksvollsten geriet hier neben dem von stolzer Melancholie erfüllten ersten der wilde vierte Satz, in dem die Spieler, die Motive gleichsam zerhackend, ihren zarten Instrumenten gehörig zusetzten, wobei unvermutet eingestreute Pianissimo-Stellen die Spannung erhöhten.

Die nach der Pause zum Abschluß angegebene C-Dur-Ouvertüre für zwei Oboen, Fagott, Streicher und Generalbaß von J.S. Bach überzeugte nicht ganz. Manche für Streicher noch gut ausführbare Tempi erweckten bei den Oboen den Eindruck von Hektik. Nur wo sie weniger artikulatorische Feinarbeit zu leisten hatten, wie im abschließenden Passepied II, konnte ich mich ganz wohl fühlen.

Das in geringer Zahl erschienene, aber begeisterte Publikum bekam nach anhaltendem Applaus die Courante der Bach-Ouvertüre als Zugabe. Steffen Seiferling