: Unverschämtes Glück
■ Am letzten Spieltag der zweiten Liga Nord schaffte Hertha gerade noch die Teilnahme an der Aufstiegsrunde
Kreuzberg. Irgend jemand außer Willi Daume hat Mitleid mit dem Hauptstadtfußball. Am letzten Spieltag der zweiten Liga Nord rettete sich Hertha BSC mit größter Mühe und freundlicher Unterstützung des FC Remscheid noch in die Aufstiegsrunde. Der eigene mühsam erkrampfte 2:0-Heimsieg vor 3.900 unerschütterlichen Fans gegen den SV Meppen wäre umsonst gewesen, hätte nicht der Aufsteiger aus Remscheid den VfL in Osnabrück von der Bremer Brücke geputzt.
Mit soviel unverschämtem Glück bedacht, kann die Hertha ruhig die Winterpause verschnarchen, um sich ohne Sorgen im Februar des nächsten Jahres an der Aufstiegsrunde zu beteiligen. Der Abstieg in die Amateurklasse ist ebenso vermieden wie die Möglichkeit einer Rückkehr in die erste Liga. Somit erfüllt sich Trainer Stanges Traum, in Ruhe und ohne Belastung eine neue und bundesligataugliche Mannschaft heranreifen zu lassen.
Auch finanziell dürften die Sorgen der Berliner geringer geworden sein. Gegen St. Pauli oder Hannover werden sicher mehr Zuschauer ins Olympiastadion kommen als gegen Fortuna Köln oder Remscheid. Zudem haben einige Menschen immer noch nicht die Hoffnung aufgegeben, daß es Sinn haben könnte, den Berliner Fußball bzw. die Hertha monetär zu unterstützen (siehe Kasten).
Den Blau-Weißen hingegen scheint ein trauriges Schicksal bevorzustehen. Zwar konnten sie in Brandenburg mit 3:1 endlich einmal wieder gewinnen, doch stehen sie immer noch auf einem Abstiegsplatz. Nachdem vor wenigen Wochen noch die Herbstmeisterschaft nach der Hinrunde gefeiert werden konnte, folgte der radikale Absturz auf den drittletzten Platz der Tabelle. Selbst bei der sportlichen Rettung vor der Amateurklasse in der Abstiegsrunde ist die finanzielle Pleite zu befürchten. Zu den letzten Spielen kamen gerade mal 700 Fans, und die Begeisterung für Blau-Weiß dürfte im nächsten Jahr noch weiter abnehmen. Abgesehen davon, daß das lukrative Lokalderby gegen die Hertha nun wegfällt.
Zum Ende des so ereignisreichen Berliner Fußballjahres, während dem die Form- und Erfolgskurve stetig steil nach unten zeigte, bleibt nur wie jedes Jahr die unerfüllbare Hoffnung, es möge ein Wunder oder ähnliches geschehen und den Verantwortlichen Herren bei Hertha und Blau-Weiß ein wenig Verstand bescheren. Doch es wird so kommen wie immer: große Sprüche, Mißmanagement, finanzielles Chaos und die übliche Provinzialität. Nur eines hat uns Herthas Manager Wolfgang Levin versprochen: »In den nächsten zwei Jahren wird die Hertha nicht aufsteigen. Wir müssen uns erst gesundschrumpfen.« Wir drücken fest die Daumen beim unaufhaltsamen Schrumpfen. Schmiernik
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen