: 100.000 Bäume fehlen
■ 15. Runde des »Stadtforums«: Wachstum auf Kosten von »Grün«?
Berlin. Das Thema »Grün« für ein innerstädtisches Park-, Freiraum- und Landschaftskonzept — so das Programm auf der 15. Sitzung des Stadtforums — spielt gegenwärtig in Berlin einen hoffnungslosen Widerpart zum wirtschaftlichen Wachstum und dessen räumlichen Konzentrationsprozessen. Die Entwicklung von Grünflächen wird vom propagierten Bedarf an Dienstleistungsstandorten und Verkehrswegen überrumpelt. Ein Bedeutungsverlust der Grünplanung kommt hinzu, werden nach dem rot-grünen Zeitalter der umlandverbindenden »Grünkeile« (Michaele Schreyer) der Freiflächengestaltung doch allenfalls Verschönerungselemente in der Stadtgestaltung zugewiesen: Baulücken dürfen begrünt werden. Auf Rest- und Abstandsflächen plant man »Pocket- Parks«. Sollen Parkanlagen entstehen, dann vorrangig auf Standorten, für die eine gewinnträchtige Bebauung unrentabel erscheint. Die Anlage städtischer Gärten jedenfalls scheitert in Berlin — die Abservierung der Buga 95 ist nur ein Beispiel dieser Entwicklung. Der »ökologische Stadtumbau«, einst Konzept der Berliner Stadtentwicklung, scheint auf der Strecke geblieben.
Schon beim Bäumezählen, so Erhard Mahler von der Senatsverwaltung für Umweltschutz, habe sich in Berlin ein Defizit von mehr als 100.000 Stämmen herausgestellt. Es fehlten für die Zukunft 1.300 Hektar Grünfläche in der Stadt. Leitbilder der Freiraumplanung, wie sie in den zwanziger Jahren durch die Planung von Ring- und Radialflächen entstanden, sind heute schier undenkbar geworden. Erneuerungen bei der Freiraumplanung konzentrieren sich statt dessen auf die Gewinnung von Uferpromenaden, die Wiederherstellung der Stadtplätze, auf die Verbesserung des Wohnumfeldes und die Öffnung der Friedhöfe als Kompensationsflächen (!) sowie auf die Hoffnung, daß Investoren »Ausgleichsgrün« schafften. Ehemals geplante Grünflächen, ergänzte der Landschaftsplaner Carlo Becker, würden nun für den Autobahnbau freigehalten. In Altglienicke wuchere eine Großsiedlung für rund 40.000 Bewohner ins Umland, ohne daß auf den Erhalt von Natur und Landschaft Rücksicht genommen werde. Anstelle die »Stadtdynamik als Chance für ein grünes Image der Stadtentwicklung« zu verstehen, so Becker, setze Berlin nach dem Fall der Mauer auf ein obsoletes Programm: Erholen können sich die Berliner in der Schorfheide oder sonstwo in Brandenburg.
Wie notwendig ein Konzept zur Landschaftsplanung wäre — die Umweltverwaltung will 1992 ein Programm vorlegen —, sieht man nicht allein an den Vorzügen der im vorigen Jahrhundert ästhetisch gestalteten »Kulturlandschaft« Berlins. Die Durchgrünung der Straßenzüge sowie die Planung von Parkanlagen — man denke an den Generalszug, den Tiergarten, den Humboldthain oder die Potsdamer Parks — waren Teil einer kulturellen und wirtschaftlichen Aufgabe zugleich. Repräsentative Alleen und Gärten gehörten bis ins 19. Jahrhundert zum fürstlichen und bürgerlichen Selbstdarstellungsrepertoire, berichtete Hochschullehrerin Helga Fassbinder, mit dem politische und wirtschaftliche Bedeutung signalisiert wurde. Die Landschaftsarchitekten müßten heute die Planung für die Biotope und innerstädtischen Naturgüter erneut als kulturelle Aufgabe entdecken. Grünflächen sollten gesichert und qualifiziert werden. Entlang der Spree und der Panke könnten ökologische Nord-Süd- und Ost-West- Wege entstehen. Umweltexperte Herbert Sukopp forderte für die Brachflächen gar die »Duldung mittlerer Verwahrlosung«, um die Spannung zwischen Natur und Geschichte darzustellen. Für die Freiraumgestaltung gehe es nicht nur darum, »eine Verschlechterung der Umweltqualität zu minimieren«, wie der Ökologe Ingo Kowarik sagte, sondern um die Festlegung von »grünen Optionen«, die zum klassischen Repertoire der Landschaftsplanung gehörten: die Wahrung und Ergänzung zusammenhängender Netze von Freiflächen, die Zurückdrängung des Verkehrs und die Bestimmung einer Funktionalität des Grüns.
Das Stadtforum verabschiedete sich mit dieser Sitzung in die Weihnachtsferien, in denen sich der »oberste Zuhörer« (Eigenwerbung Volker Hassemer) ein paar unspektakuläre Erfolge unter den Christbaum legen kann: Zweifellos ist der Mauerpark ein Kind des Forums. Hassemer hat — mit Höhenzulage — das (schlechte) Wettbewerbsergebnis Potsdamer Platz gegen Daimler und Konsorten durchgekämpft. Für die Stadtmitte hat der Begriff des »Weiterbauens« der sozialistischen Architekturen durch bauliche Ergänzungen, Erneuerungen und Korrekturen die Oberhand behalten über die Abrißstrategen. Den Bonnern signalisierte das Stadtforum, daß Regierung und Parlament das Leben aus der Stadtmitte nicht werden verdrängen können, sollen doch Instrumentarien geschaffen werden, die die Durchmischung der städtischen Funktionen aufrechterhalten. Schließlich liegt die Frage nach einer Verwaltungsreform auf dem Tisch, werden doch beispielsweise die Planungsaufgaben für die Regierungs- und Parlamentsbauten, die Erneuerung Ost-Berlins sowie die Sanierung der Stadttechnik und der Verkehrswege nicht ohne Aushebelung der festgefressenen Verwaltungsstrukturen und -sektoren aufgehen. Ein Vorschlag als Knallbonbon zu Silvester wäre da doch die Abschaffung des Verkehrssenats. Ob Hassemer die Geschenke allerdings auspacken kann, ist fraglich. Die Wunschzettel des Stadtforums liegen oft weit entfernt von der Wirklichkeit — siehe Tunnelplanungen, Bonner Bauwünsche und undemokratische Investorenansprüche. Sie sind so unverbindlich wie die Entscheidungskompetenz des Stadtforums selbst. Das bleibt nach wie vor das Hauptmanko. Weder nutzte das Stadtforumsvotum für den Erhalt des Lenindenkmals noch kann die Expertenrunde an der Mietpreisbindung drehen. Hinzu kommt, daß in den vergangenen Sitzungen nicht allein die eingeladenen Senats- und Bezirksvertreter fehlten, sondern die personellen Kapazitäten überhaupt zu schwinden drohen. Statt konfliktträchtiger Vorträge hörte man uninteressante »Jammerlieder«, die das Stadtforum aus dem öffentlichen Interesse hinauszukatapultieren drohen. Rolf R. Lautenschläger
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