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Offener Streit um die Anerkennung Kroatiens

■ UNO-Generalsekretär Perez de Cuellar warnt vor der Anerkennung Sloweniens und Kroatiens, Genscher warnt vor Nichtanerkennung/ Die Vereinten Nationen wollen schon bald eine Beobachtertruppe nach Jugoslawien entsenden

New York/Bonn/Belgrad (taz/ dpa) — Zwei Tage bevor am heutigen Montag die Außenminister der EG bei ihrer Sitzung in Brüssel über eine diplomatische Anerkennung Sloweniens und Kroatiens beraten, ist zwischen dem deutschen Außenminister und dem UNO-Generalsekretär ein öffentlicher Disput um die Frage ausgebrochen. In einem Antwortbrief warnte Perez de Cuellar Genscher am Samstag vor einer „vorzeitigen, selektiven und unabgestimmten Anerkennung“ der beiden jugoslawischen Republiken. „Ich hoffe“, schreibt der UNO-Generalsekretär, „daß Sie die große Besorgnis der Präsidenten von Bosnien-Herzegowina und Mazedonien sowie vieler anderer zur Kenntnis genommen haben, wonach eine vorzeitige selektive Anerkennung die Ausweitung des gegenwärtigen Konflikts auf diese (politisch) hochgradig sensiblen Gebiete nach sich ziehen könnte“. Mit Verweis auf das Treffen der EG-Außenminister vom 8. November in Rom schreibt Perez de Cuellar: „Wenn Sie sich bitte in Erinnerung rufen würden, daß die Erklärung der Zwölf in diesem Fall darauf abzielte, daß eine ,Anerkennung der Unabhängigkeit derjenigen Republiken, die das wünschen, nur im Rahmen einer umfassenden Lösung in Aussicht genommen werden kann...‘“ Zudem bringt er auch seine Befürchtung zum Ausdruck, eine Anerkennung Sloweniens und Kroatiens zu diesem Zeitpunkt könnte die Bemühungen der UNO, in Jugoslawien eine Blauhelm-Truppe zu stationieren, torpedieren.

Genscher hatte am Tag zuvor in einem Brief an den UNO-Generalsekretär die Absicht der deutschen Regierung bekräftigt, Slowenien und Kroatien in jedem Fall noch vor Weihnachten anzuerkennen. „Die Verweigerung der Anerkennung jener Republiken, die ihre Unabhängigkeit wünschen“, argumentiert der deutsche Außenminister, „müßte zu weiterer Eskalation der Gewaltanwendung durch die Volksarmee führen, weil sie darin eine Bestätigung ihrer Eroberungspolitik sehen würde.“ Genscher reagierte mit seinem Brief auf ein Schreiben des UNO-Generalsekretärs an den EG- Ratspräsidenten, den niederländischen Außenminister Hans van den Broek, in dem Perez de Cuellar vor einer Anerkennung der Republiken gewarnt hatte. Ob sich in der heutigen Brüsseler Ministerrunde eine Mehrheit für eine Anerkennung Sloweniens und Kroatiens zusammenfindet, ist noch völlig offen. Während sich der italienische Außenminister hinter Genscher stellt, sind vor allem Großbritannien und die Niederlande gegen eine Anerkennung zum jetzigen Zeitpunkt.

In einem Interview mit dem Deutschlandfunk spielte Genscher am Sonntag den offenen Dissens mit dem UNO-Generalsekretär herunter. Dieser habe nur vor einer „unkoordinierten Anerkennung gewarnt“, erklärte er, und Deutschland bemühe sich ja gerade seit Monaten um eine Koordinierung der europäischen Positionen. Er verwies darauf, daß sich die EG am 10. Oktober darauf festgelegt habe, spätestens in zwei Monaten über die Anerkennung zu entscheiden. Der für gestern abend erwartete Beschluß des UNO-Sicherheitsrates zu Jugoslawien, so Genscher, werde „eine Anerkennung nicht ausschließen“.

Der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen hatte am Samstag seine Sitzung unterbrochen. Der Text der Resolution, in der die Mitgliedsstaaten zum Verzicht auf alle Maßnahmen aufgerufen werden, die die Spannungen in Jugoslawien weiter verschärfen könnten, sei danach entschärft worden, hieß es aus Kreisen der UNO, um der Position Deutschlands Rechnung zu tragen.

Der Resolutionsentwurf sieht darüber hinaus die Entsendung von UN- Beobachtern nach Jugoslawien vor. Diese sollen die Bedingungen und Modalitäten für die Entsendung von Blauhelmen prüfen. Die UN-Beobachtermission werde voraussichtlich einige Dutzend Mitglieder umfassen, darunter auch Militärs, teilten UN-Diplomaten in New York mit. Sollten die Emissäre feststellen, daß mit der Einhaltung eines Waffenstillstands die Voraussetzungen für die Stationierung einer Friedenstruppe gegeben sind, so der britische UNO- Botschafter Sir David Hannay, könnten die Vereinten Nationen schnell „grünes Licht“ für eine Friedenstruppe in einer Stärke von bis zu 10.000 Blauhelmen geben. — Die Resolution des Sicherheitsrates beinhaltet auch Maßnahmen zur Umsetzung des Waffenembargos gegen Jugoslawien. Unter anderem soll ein Ausschuß des Sicherheitsrates gebildet werden, der die Durchsetzung des Embargos überprüfen soll.

Serbische Medien warnen vor „Großdeutschland“

Unmittelbar vor der angekündigten diplomatischen Anerkennung Kroatiens und Sloweniens werden in Serbien alle Propaganda-Hebel in Gang gesetzt, um das Bild der Gefahr aus dem „faschistischen Großdeutschland“ an die Wand zu malen. Am laufenden Band senden serbische Medien sogenannte „antifaschistische Aufklärungsprogramme“. Bonn habe Tausende von Militärberatern nach Kroatien eingeschleust, so die Tageszeitung 'Jedinstvo‘, und Geheimpläne bewiesen, daß nach einer Anerkennung Kroatiens eine „faschistische Eingreiftruppe unter dem Kommando Deutschlands Aktionen in Serbien starten“ werde. Die 'Politika‘ spricht von „Geiseln, die in Deutschland gehalten werden“, und meint die jugoslawischen Gastarbeiter, die infolge der Aufkündigung des Verkehrsabkommens durch Deutschland möglicherweise an Weihnachten nicht in ihre Heimat zurückkehren können.

Auch der serbische Präsident Slobodan Milosevic beschwört das Gespenst des Vierten Reiches oder des „neu entstandenen faschistischen Zentrums Europas“, wie er sich letzte Woche ausdrückte. Aus seiner Umgebung verlautete am Wochenende, daß eine Anerkennung Kroatiens und Sloweniens das Ende aller diplomatischen Bemühungen um einen Frieden und das endgültige Aus für die Haager Friedenskonferenz bedeuten würde. thos/rola

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