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Schalck war Mielkes Mann im Außenhandel

Ingrid Köppe gräbt Schalcks Stasi-Kaderakte aus — das Dokument beweist: Schalck belog den Bundestagsausschuß/ Auch Ehefrau Sigrid war Top-Agentin/ Teile der Akten auf dem Weg von Ost nach West verschwunden  ■ Von Thomas Scheuer

Bonn (taz) — Alexander Schalck- Golodkowski, einst Honeckers oberster Devisenbeschaffer, war im Hauptberuf Top-Agent des Staatssicherheits-Ministers Erich Mielke. Der „Außenhändler“ war in erster Linie Legende. Das beweist die jetzt aufgetauchte Stasi-Kaderakte Schalcks. Die Abgeordnete Ingrid Köppe (Bündnis 90/Grüne) stöberte das brisante Dokument in den Aktenbergen des Schalck-Untersuchungsausschusses auf.

Danach muß Schalck schon 1960, gerade 28 Jahre jung, bei der Stasi als Informeller Mitarbeiter (IM) eingestiegen sein. Seit diesem Jahr wurde er jedenfalls in den Akten als „IM“ geführt. Seine schriftliche Verpflichtungserklärung trägt das Datum des 16.9.1966. Nach „wertvollen Diensten“ für Markus Wolfs legendäre Hauptverwaltung Aufklärung (HVA), also die DDR-Auslandsspionage, wurde der „Außenhändler“ Schalck dann am 15. Oktober 1966 zum „Offizier im besonderen Einsatz“ (OiBE) ernannt. Alexander Schalck-Golodkowski hat also vorsätzlich den Untersuchungsausschuß des Bundestages belogen, als er im September dieses Jahres vor dem Gremium erklärte, vor 1966 nichts mit der Stasi zu tun gehabt zu haben. Die OiBE-Ernennung spielte Schalck zu einer Formsache ohne große Bedeutung herunter. Als Staatssekretär im Außenhandelsministerium und Chef des Devisenbeschaffungsorgans „Kommerzielle Koordinierung“ (KoKo) habe er keine Weisungen von Stasi- Chef Erich Mielke, sondern nur von dem im ZK der SED für Wirtschaft zuständigen Günter Mittag erhalten.

Auch gegenüber Bundeskriminalamt und Bundesnachrichtendienst leugnet Schalck bislang jede geheimdienstliche Tätigkeit. Seine Kaderakte beweist das Gegenteil: Schalck war seit den frühen 60er Jahren fest in die Struktur der Stasi eingebunden. Und zwar auf allerhöchster Ebene: Als seine „Diensteinheit“ ist in allen Formularen das „Sekr. Min.“ angegeben — das Sekretariat des Ministers! In seinem Ernennungsvorschlag zum OiBE schrieb Schalcks Führungsoffizier, Stasi- Oberstleutnant Heinz Volpert, 1966: „Alle übertragenen Aufgaben vom MfS wurden sehr zuverlässig und pünktlich erfüllt. Eine besonders enge Zusammenarbeit besteht zwischen dem Kandidaten und der HVA des MfS. [...] Aufgrund seiner ausgezeichneten fachlichen Qualitäten und Spezialkenntnisse wird dem Kandidaten ab 15.9.1966 ein Sondergebiet im Bereich des MAI [Ministerium für Außen- und innerdeutschen Handel, später umbenannt in Ministerium für Außenhandel, MAH; d.Red.] im Range eines stellvertretenden Ministers des MAI übertragen. In diesem Sondergebiet wird der Kandidat für das MfS eine Vielzahl wichtiger operativer Maßnahmen lösen.“

Ziehvater Mielke

Seine kometenhafte Karriere verdankt Schalck also allein seinem Ziehvater Erich Mielke. Der kommandierte ihn aus der Chefetage der Normannenstraße ins Außenhandelsministerium ab. Wichtigste Mission des Mielke-Zöglings dort: Der Aufbau des Untergrund- Firmennetzes „Kommerzielle Koordinierung“ (KoKo). Dank KoKo avancierte die Stasi vom „Schild und Schwert“ auch noch zum Goldesel der SED. Daneben sponserte sie den Etat der Staatssicherheit, beschaffte Waffen und Embargogüter im Westen und nutzte die weitverzweigten Auslandsverbindungen ihrer rund 140 Firmen zur Spionage. In einer Weisung von Stasi-Chef Mielke aus dem Jahre 1980 etwa werden einige der wichtigsten KoKo-Firmen als „operative Diensteinheiten der HVA“ bezeichnet. Schalck selbst hatte schon 1965 in einem Brief an SED-Politbüromitglied Hermann Matern zwei seiner wichtigsten Firmen (die F.C.Gerlach des Michael Wischniewski sowie die Firma Simon Industrievertretungen des 1976 ins bayerische Rosenheim „übersiedelten“ Schiebers Simon Goldenberg) als „Vertrauensfirmen des MfS“ bezeichnet. In seiner Doktorarbeit von 1970 schließlich weist Schalck seinen Tarnfirmen im westlichen Ausland neben der Devisenerwirtschaftung ausdrücklich Aufgaben wie Embargohandel und „operative Maßnahmen“ zu. Vorgelegt hat Schalck seine Dissertation übrigens als „Kollektivarbeit“ mit seinem Führungsoffizier Heinz Volpert an der Stasi-Hochschule Potsdam. Als Doktorvater amtierte Erich Mielke.

Mielkes Mann im Außenhandel wurde in der Normannenstraße offenbar vermißt. Wiederholt traten hohe Stasi-Offiziere für seine „Rückführung“, bzw. „Rückversetzung“ in die Stasi-Zentrale ein. Doch Schalck war an der Westfront wichtiger. „Aufgrund seiner außerordentlichen Verdienste und Leistungen“ sollte Schalck 1983 sogar zum Generalmajor befördert werden. Sein Dienstgrad hätte damit demjenigen Markus Wolfs entsprochen. Doch „unter Berücksichtigung der besonderen Tätigkeit“, so hält die Kaderakte fest, „ist die Ernennung zum Generalmajor gegenwärtig nicht möglich“. Schalcks „besondere Tätigkeit“ in jenem Jahr: Die Geheimgespräche mit CSU-Chef Franz Josef Strauß und der Milliardenkredit für die DDR.

Die MfS-Akte Schalck liefert eine weitere Erkenntnis: Auch Sigrid Schalck, geborene Gutmann war eine große Nummer im Stasi-Apparat. Zu Unrecht wurde ihre Rolle im Stasi-KoKo-Netzwerk bislang von Fahndern wie Medien vernachlässigt. Sigrid Gutmann trat 1968, ebenfalls als 28jährige, in die Dienste der Stasi. Auch ihre Dienststelle war das „Sekr. Min.“ Im Frühjahr 1970 wurde Frau Gutmann persönliche Referentin von KoKo-Boß Schalck. Ihr Spezialgebiet: „Finanzielle Sonderoperationen“. Es scheint, als hätte „Big Alex“ seine zweite Ehefrau in Mielkes Vorzimmer kennengelernt. Den Bund fürs Tschekistenleben jedenfalls gingen die beiden mit Hilfe und Segen des Chefs ein, wofür sie diesem in einem Brief 1976 überschwenglich dankten.

Seit 1984 keine Akten

Alle oben genannten Dokumente erhielt der Schalck-Ausschuß vom Bundesjustizminister übermittelt. Sie stammen offenbar aus dem Fundus des Generalbundesanwaltes in Karlsruhe. Der hatte sich bekanntlich eineinhalb Jahre lang gesträubt, gegen den Übersiedler Schalck auch nur einen Anfangsverdacht wegen Spionage zu erkennen. Erst seit Sommer dieses Jahres ermitteln Bundesanwälte förmlich gegen den KoKo- Pensionär wegen geheimdienstlicher Agententätigkeit. Auffallend ist, daß die Schalck-Akte ausgerechnet 1984 schlagartig abbricht. Sie enthält folglich keine möglicherweise strafrechtlich relevanten Tatbestände nach diesem Zeitpunkt. Das heißt: Dem unbekannten Fledderer, der die Schalck-Akten irgendwo auf ihrer Reise von Ost-Berlin nach Karlsruhe säuberte, müssen die bundesdeutschen Verjährungsfristen geläufig gewesen sein. Die Abgeordnete Ingrid Köppe will nun gerne wissen, „wer die fehlenden Aktenteile vernichtet hat oder zurückhält“. Neue Arbeit für den Ausschuß.

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