: Demokratie als architektonischer Ausdruck
■ Der Hauptstadtreferent beim Bausenator, Dr. Engelbert Lütke-Daldrup, zum Umgang mit den Symbolen der Vergangenheit
Das wiedervereinigte Deutschland baut seine Hauptstadt in Berlin neu, wiewohl auf historischem Grund. Demokratische Hauptstadtplanung und -entwicklung in Berlin kann der Auseinandersetzung mit der Geschichte und deren baulichen und historischen Spuren nicht ausweichen. Diese reichte von der preußischen Hauptstadt, über die Reichshauptstadt, die Weimar-Hauptstadt, die Hauptstadt des »Dritten Reiches«, die DDR-Hauptstadt im Ostteil und die Frontstadt im Westteil bis zur Hauptstadt des wiedervereinigten Deutschlands. Die Dimension dieser Herausforderung scheint noch nicht erkannt zu sein. Insbesondere darf die Auseinandersetzung mit der Vergangenheit der Wilhelmstraße (z.Z. Otto-Grotewohl-Straße) nicht umgangen werden. Hier war sowohl das Zentrum des wilhelminischen Deutschland und der ersten deutschen demokratischen Regierung als auch das Zentrum der nationalsozialistischen Diktatur. Die DDR hat durch sozialen Wohnungsbau versucht, die Geschichte in diesem Bereich zu verdrängen. Die maßlose historische Belastung dieses Bereiches durch die NS-Zeit macht ihn nur sehr schwer »beplanbar«. Eine angemessene Auseinandersetzung mit diesem Ort ist für die Bundesrepublik Deutschland unausweichlich.
Der Umgang mit dem Palast der Republik (ehemaliger Schloßbereich) kann nicht durch schlichten Abriß eines zentralen Symbols der ehemaligen DDR — eine Form scheinbarer Geschichtsbewältigung — geprägt sein. Vielmehr geht es um die Umnutzung, den Umbau des multifunktionalen, vor allem kulturell genutzten Gebäudes sowie um ein »Weiterbauen« am Standort. Der Wiederaufbau des Schlosses wäre nichts anderes als die Verdrängung der Symbolik des real existierenden DDR-Sozialismus durch die des Feudalismus der Hohenzollern. Restaurative Tendenzen in Berlin belasten die Entscheidung für die Verlagerung von Parlament und Regierung nach Berlin, da sie alte Ängste gegen Berlin wieder heraufbeschwören. Insofern droht die Diskussion über den Wiederaufbau des Hohenzollernschlosses die Hauptstadtentscheidung eher zu belasten.
Der Gegensatz zwischen egalitären Ideen der Demokratie und den elitären Ansprüchen (Repräsentation, Sicherheitskordons, Baumassen) der Hauptstadtplanung muß aufgelöst werden. Die Demokratie als Bauherr muß einen entsprechenden architektonischen Ausdruck suchen. Dabei gilt es, in Anknüpfung an Berliner Bautraditionen und an die Maßstäblichkeit des städtebaulichen Umfelds, eine Architektur demokratischer Bescheidenheit zu finden. Im übrigen muß staatstragende deutsche Architektur keine monumentale umzäunte Architektur sein. Der zivile Charakter der Hauptstadt darf nicht durch stadtunverträgliche Repräsentations- und Sicherheitsanforderungen in Frage gestellt werden. Die in Bonn durchaus bestehende Nutzungsmischung muß auch für Berlin angestrebt werden.
Neben der Frage des baulichen Ausdrucks eines demokratischen Staates stellt sich die Frage des Umgangs mit der Hauptstadt. Hier gilt es, die Widersprüche zwischen bisherigen staatlichen Anforderungen (von Sicherheitsfragen bis zur »demokratischen« Repräsentation) und städtischen Notwendigkeiten auszuloten. Dabei ist aus Respekt vor dem Föderalismus und der kommunalen Selbstverwaltung den funktionalen und stadtstrukturellen Anforderungen der Stadt Berlin in verantwortungsbewußter Weise Rechnung zu tragen. Eine Einschränkung der Planungshoheit des Landes Berlin in den Entwicklungsbereichen »Parlaments- und Regierungsviertel« ist aus verfassungsrechtlichen und stadtstrukturellen Gründen nicht akzeptabel. Andernfalls wären vor dem Hintergrund sektoral-staatlicher Planungsoptik bürokratische Monofunktionalität, Barriere und Fremdkörper in der Stadtstruktur, übertriebene Flächenforderungen und Sicherheitszonen einzelner Behörden am falschen Standort zu befürchten.
Die Dominanz des Bundes im »Herzen der Stadt« muß auf jeden Fall vermieden werden. Der Kernbereich der bürgerschaftlich geprägten Stadt steht nicht beziehungsweise nur sehr begrenzt für hauptstädtische Nutzungen zur Verfügung. Dies gilt unter anderem für das Stadthaus von Hoffmann, das als Erweiterung des Berliner Rathauses gebaut worden war. Der Entwicklungsbereich »Parlaments- und Regierungsviertel« darf nicht als monofunktionaler Stadtbereich mißverstanden werden. Vielmehr gilt es vor allem, die Ministerien dezentral zu lokalisieren.
Der polyzentrischen Struktur Berlins entspricht eine dezentrale Verteilung der Ministerien. Da es hier auch um die Selbstdarstellung des demokratischen Staates geht, dürfen verwaltungsorganisatorische Aspekte bei der Standortverteilung der Ministerien keine dominante Rolle spielen. Auch der sogenannte »Kernbereich« der Regierung muß nicht ausschließlich in stadtzentralen Lagen lokalisiert werden. Hier ist eine Organisation und räumliche Verteilung nach der klassischen »Palais« — »Bureau«-Aufteilung beziehungsweise nach der im privaten Dienstleistungsgewerbe erprobten Aufteilung in »front« und »back office« möglich.
Die Orte für Parlament und Regierung, die Orte des Föderalismus, die Orte der ministeriellen Bürokratie und Orte der ausländischen Staaten sowie die Orte des Lobbyismus, der Medien und so weiter müssen in ein demokratisch legitimiertes und stadtstrukturell sinnvolles Verhältnis gebracht werden. Dies ist weniger eine Frage der Flächen- beziehungsweise Gebäudeverfügbarkeit — an nutzbaren Flächen und verwertbarer Bausubstanz in Bundesbesitz mangelt es in Berlin nicht—, sondern vielmehr eine Frage der Selbstdarstellung und der zukünftigen Arbeitsformen des demokratischen Staates in der pluralistischen Gesellschaft mit seinen egalitären Ideen und repräsentativen Prinzipien.
Die Etablierung der Hauptstadt in der Berliner Mitte bedeutet auch den verantwortlichen Umgang mit der alten Bausubstanz. Die Vor- und Nachteile des Parlaments- und Regierungssitzes sollten wie in Bonn über das Stadtgebiet gestreut werden. Das Parlaments- und Regierungsviertel sollte zwar aus Gründen der Funktionalität und Verkehrsvermeidung fußläufig organisiert sein, eine übermäßige Zusammenballung der Funktionen in der Mitte ist aber zu vermeiden. Hierzu kann eine Trennung zwischen repräsentativen und rein administrativen Funktionen beitragen.
In der Wohnungsfrage darf es keine unverhältnismäßigen Privilegien des Bundes gegenüber den Berliner Wohnungssuchenden geben. Die Bundesbediensteten sollten nicht in Regierungsghettos, sondern in die unterschiedlichen Teilräume der Stadt integriert werden.
Für die Berliner Mitte ist dringend ein Nutzungsstrukturkonzept erforderlich, um sowohl private Investitionen als auch die hauptstadtbezogenen Anforderungen in ein sinnvolles Ganzes zu integrieren. Dabei ist dieses Konzept gegenüber den Anforderungen »von unten« abzuwägen. Hauptstadtplanung darf nicht zur technokratischen Planung »von oben« verkommen. Dr. Engelbert Lütke-Daldrup
Der Autor ist Hauptstadtreferent beim Bausenator.
aus: Foyer, Magazin der Senatsbauverwaltung für Bau- und Wohnungswesen, Dezember 1991
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