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Zuwenig zugetraut

„The Ginger Man“, Bogdanovs letzte Inszenierung im Hamburger  ■ Von Lore Kleinert

Wer erwartet hatte, Michael Bogdanov werde den undankbaren Hamburgern zum Abschied die Faust zeigen, muß sich in seiner letzten Inszenierung mit Ulrich Tukurs nacktem Hintern begnügen. Die Anspielung auf den Abgang eines ebenfalls umstrittenen Intendanten, seines Vorgängers Peter Zadek, dem man die Präsentation nackter Körperteile verübelt hatte, bleibt aber die einzige kleine Bosheit im diesem Stück, das von einem Abschied handelt.

J.P. Donleavys Ginger Man namens Sebastian Dangerfield verläßt Irland. Gleich zu Beginn beschwört er, was er für immer behalten möchte. Die Treppe, auf die er steigt, dreht eine große Runde auf der Bühne und wird zum Hafenkai: Möven schreien, der Wind heult. Warum dem Amerikaner Dangerfield nichts bleibt als der Abschied, führt Ulrich Tukur in vielen Rückblenden vor: Man sieht die Wohnung, die er mit Frau und Kind bewohnt, angedeutet durch Fenster, Türen und einige Möbel. Der von den Schecks seines Vaters lebende Student zeigt uns sein College, seinen irisch-amerikanischen Freund und die Bars der Stadt. Statt sein Jurastudium zu beenden und sich auf eine erfolgreiche Zukunft vorzubereiten, trinkt der eloquente Bohemien. Dangerfields einziger Antrieb ist die Aussicht, irgendwann einmal etwas zu erleben und bis dahin irgendwen anzupumpen. Er versäuft Miete und Milchgeld, das Reisegeld des Freundes und die Ersparnisse einer jungen Frau, die sich in ihn verliebt. Er ist großsprecherisch, verlogen und heuchelt, bis er nicht mehr kann und hinter allen Posen die Schwäche eines einsamen, greinenden Kindes sichtbar wird. Das ist die ganze Geschichte.

Das Interesse an J.P. Donleavys Figur wäre rasch erschöpft, hätte Regisseur Bogdanov nicht in Ulrich Tukur einen Hauptdarsteller, dessen Sprache und Körpersprache weitaus mehr Facetten eines Lebens zum Funkeln zu bringen, als man von einer banalen Höllenfahrt durch den Suff erwartet hätte. Daß seine Frau Marion (Catrin Striebeck) ihn verläßt, ist voraussehbar, doch wie er es schafft, sich auch in der neuen Wohnung wieder einzunisten, ist ein kleines Kunstwerk. Voraussehbar auch, daß er mit der Untermieterin, der katholischen Miss Frost (Marlen Dieckhoff) anbändeln wird. Doch die beiden Schauspieler machen diese Verführung zu einem Balanceakt, der weit über die bloße finanzielle Nutzbarkeit hinausgeht.

Irland habe ihn geschafft, verkündet Dangerfield gleich zu Beginn, und da dürfen die Frauen nicht fehlen, als Gegenpol zu den schwadronierenden und saufenden Männern. Doch auf der Bühne wird die irische Hauptstadt, wie keine andere als weiblich beschrieben, als „alte Sau, die ihre Ferkel frißt“ (James Joyce) und als Stadt der Städte (Brendan Behan), vor allem in den Umbaupausen lebendig. Da spielt die „Ginger Men Band“, eine riesige Menschenmenge strömt über die Drehbühne, baut Türen und Fenster ab, trägt Möbelstücke wie Sperrmüll davon oder hastet nur vorüber, zwischen den großen, düsteren Fassaden der steinernen Stadt. Bilder werden wach, von den Menschenströmen, die Irland verließen, von ihrer Armut und ihrem Lebenswillen, und in diesen Augenblicken ist die Magie Irlands mehr als nur Sentimentalität.

Doch in der zweiten Hälfte setzt Bogdanov auf deutlichere Zeichen und bedient alle Klischees, die dieses Land für Fremde zugänglich machen sollen. Da wird geprügelt und gesoffen, getanzt und gefiedelt, und auch Ulrich Tukur kann seinen Sebastian Dangerfield kaum mehr gegen den Sog des harmlosen Traumlandes der Touristen verteidigen. Das sichert zwar den Beifall, doch warum ein junger Amerikaner ein ganzes Land, eine Stadt wie Dublin für sein Scheitern verantwortlich macht und warum dieses Land für so viele unerfüllte Sehnsüchte nach einem erfüllteren Leben herhalten muß, darauf gibt es keine Antwort, und — schlimmer noch — die Fragen selbst werden verwischt. Man fragt sich schließlich, wieso Donleavys Ginger Man in den fünfziger Jahren zum Klassiker des literarischen Undergrounds in Paris und zum Kultbuch der Beatniks werden konnte.

Zwar beklagt Michael Bogdanov zu Recht, daß man seiner Art, ein Theater zu leiten, wenig Vertrauen entgegengebracht habe. Sein Ginger Man aber verlängert die Reihe der Inszenierungen, in denen er seinem Publikum zuwenig zugetraut hat.

J.P. Donleavy: Ginger Man . Regie: Michael Bogdanov, Bühne: Chris Dyer. Mit Ulrich Tukur, Catrin Striebeck, Marlen Diekhoff. Deutsches Schauspielhaus Hamburg

Weitere Aufführungen: 17., 21., 22. Dezember, 7., 8. Januar

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