: Treten wir gemeinsam aus dem Versteck
Das Outing ist gerade keine Initiative von Frauen, sondern schwule Männer denunzieren schwule Männer in der heterosexuellen Männer-Gesellschaft ■ Von Viola Roggenkamp
Ich warte auf die Schlagzeile „Bundeskanzler Kohl ist heterosexuell!“ Wenn wir uns das erst einmal vor Augen führen. — Sehen Sie! da wollen Sie lieber erst gar nicht hinsehen. Doch Sie sind schwer im Irrtum, wenn Sie meinen, das sei Helmut Kohls Privatangelegenheit. Spätestens vor seiner ersten Kanzlerkandidatur hatte der Christdemokrat nicht versäumt, sich ganz deutlich als Hetero outen zu lassen. Ehefrau Hannelore und die beiden Söhne hinter ihm, vor ihm, neben ihm. Das ging durch die Presse. Jeden Tag. Konnte da noch irgend jemand zweifeln? Sehen Sie! Jetzt sehen Sie es doch, wo der kleine Unterschied liegt: Man ist heterosexuell, solange man nicht sagt, man sei schwul oder lesbisch. Dasselbe gilt für Rita Süssmuth. Seitdem ihr Mann wochenlang mit ihrem Dienstwagen durch die Medien geisterte, gibt es keinen Zweifel mehr: Die Frau ist verheiratet. Die Bundestagspräsidentin und vielumschwärmte Vorsitzende der Frauen- Union ist wirklich heterosexuell.
Gertrud Höhler mit den Oberhemdkragen unter ihrem energischen Kinn? Die Kummerkasten- Tante des deutschen Spitzen-Managements? Aber ihre Perlenkette. Und sie hat einen Sohn. Naja. — Mutter Beimer? Ach wo! — Oder? — Vater Beimer? Jetzt ist es aber gut! So sehen Sie aus. Dagmar Berghoff und Annemarie Renger. Herrmann Schreiber und Wolf Schneider. Kennen Sie nicht? Dann macht es ja auch nichts. Wen geht es was an? Ach, wäre das schön, wenn es niemanden etwas anginge.
Zuallererst aber geht es uns etwas an. Uns Lesben und Schwule. Es geht uns etwas an, daß die heterosexuelle Männer-Gesellschaft auf lebende prominente Homosexuelle mehr Rücksicht zu nehmen scheint als auf lebende prominente Heterosexuelle. Die Privatsphäre prominenter Lesben und Schwuler — ganz besonders, wenn es sich um Mächtige und Idole handelt, um bewunderte Prominente und beliebte Stars — wird von Heterosexuellen strikt gewahrt. Darüber darf öffentlich nicht gesprochen und nicht geschrieben werden. Mag es sonst auch keinen Schutz geben für Lesben und Schwule in der Hetero-Gesellschaft. Aus diesem Schonraum werden wir nicht entlassen, sollen wir nicht entkommen.
Geht es um Sexualität? Uns nicht. Uns geht es um eine Lebensform, um Liebe, um ein selbstbestimmtes Leben, auch in der Sexualität. Ich bin lesbisch, auch wenn ich mein Leben lang allein lebte. Um Sexualität geht es nicht uns. Um Sexualität geht es der Hetero-Gesellschaft. Sie versteht unter Lesbisch- oder Schwulsein ausschließlich Sex. Das ist einerseits Teil ihrer Kriegsführung gegen uns. Zum anderen ist sie gar nicht bereit, mehr zu erlauben: Für die heterosexuelle Männer-Gesellschaft ist jede und jeder heterosexuell, die nach außen heterosexuell leben und nur hin und wieder homosexuelle Sexualität genießen, aber bitte heimlich. Denn wer es nicht heimlich täte, die könnten nicht mehr gezwungen werden, zu bleiben, weil sie bereits draußen wären. Oberstes Gesetz ist darum: Niemand, keine Frau und kein Mann, darf sich aus der heterosexuellen Männer-Gesellschaft tatsächlich und für immer entfernen. Schon gar nicht sexuell oder eben nur heimlich. Andernfalls würde das auf Sexualität aufgebaute heterosexuelle Männer-System geschwächt und total infrage gestellt.
Wir leben in Feindesland. In ihm sind vor allem zwei Systemkreise auf Sexualität aufgebaut: Macht und Diskriminierung. Darum erleben lesbische Frauen die ihnen feindlich gesonnene heterosexuelle Männer- Gesellschaft krasser, schmerzvoller als schwule Männer. Lesben werden als Lesben, aber auch als Frauen diskriminiert. Schwule Männer indessen sind eben auch Männer, und damit Teilhaber der Männergesellschaft, Teilhaber an der Macht. Nicht von ungefähr ist deshalb das Outing keine lesbische Idee, keine Initiative von Frauen. Schwule Männer denunzieren schwule Männer in der heterosexuellen Männer-Gesellschaft, die an sich und in sich homophil ist. In ihr werden Männer von Männern aufgebaut, an die Spitze gestellt, verehrt, bewundert, finanziert, protegiert, angehimmelt, geliebt.
Ich bin gegen Outing, weil ich gegen Denunziation bin. Aber ein Gutes hat es: Es wird darüber gesprochen. Das ist wichtig. Die heterosexuelle Männer-Gesellschaft behauptet, auch gegen Outing zu sein. Dann hätten wir ja etwas gemeinsam? Das kann ich mir gar nicht vorstellen. Sie ist bei genauerem Hinsehen nur deshalb gegen Outing, weil sie gegen das Coming-out ist, gegen das offene und freie Coming-out von lesbischen Mädchen und Frauen, von schwulen Jungen und Männern. Dagegen war sie schon immer und hat darum viele unglückliche Menschen auf ihr Gewissen geladen. Die Antwort darauf ist Outing.
Outing ist die Antwort der Homosexuellen auf die Hetero-Gesellschaft, die gegen das Coming-Out ihrer vermeintlichen Heteros ist. Mag sein, eine verzweifelte Antwort. Aber dennoch eine falsche. Sie spaltet die Solidargemeinschaft der Homosexuellen, auch dann, wenn prominente Homosexuelle sich sowieso nicht solidarisch verhalten. Wenn diese homosexuellen Männer und Frauen, die Politiker und Politikerinnen, die Theologen, die Großindustriellen und Unternehmerinnen, die Ärztinnen und Wissenschaftler, und die Künstlerinnen und Künstler, wenn sie schweigen, sich verleugnen, dann tun sie es aus Angst. Angst, die offen darliegt oder sich hinter Selbsthaß verbirgt; sogar hinter Gleichgültigkeit, oder, weil sie sich in der Rolle der/des Verfolgten gar gefallen. Allein dadurch meinen sie, etwas Besseres, etwas Besonderes zu sein.
Sie können uns leid tun? Damit ist es eben leider nicht getan. Sie schaden mit ihrem Leben im Versteck nicht nur sich, sondern uns allen. Auch den heterosexuellen Menschen, die andernfalls ihre Verfolger-Manie aufgeben könnten oder müßten: Die menschliche Gesellschaft wäre um ein Gutteil entgiftet. Wenn wir nicht mehr zu treffen sind, weil wir flüchten und uns verbergen, ist die Waffe gegen uns noch nicht entschärft. Nur wenn wir standhalten, uns nicht davonmachen, sind wir nicht mehr zu verfolgen und dann auch nicht mehr zu treffen. Die Diskriminierung von Lesben und Schwulen kann ja nur so lange funktionieren, solange wir mitmachen, solange wir die Rolle der Opfer nicht ablegen und uns zeigen, um uns zu wehren. Würde und Selbstbewußtsein sind gefragt. Das ist schwer. Ja. Aber wir sind nicht wenige. Und viele von uns sind längst stark genug, aus ihrem Versteck herauszukommen. Tun wir es gemeinsam.
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