: Mozart- und Mottenkugel
■ DEFA-Wiederaufführung: »Figaros Hochzeit« in der Filmbühne am Steinplatz
Am meisten zu bedauern sind ... die unseligen Sänger, Instrumentalisten und Dirigenten, die plötzlich in die Lage versetzt sind, dem Publikum die Wunder, die von den Zeitungen so verschwenderisch beschrieben wurden, nun auch zu hören geben.« In das Bedauern, das George Bernhard Shaw zur Mozart-Jahrhundertfeier anno 1891 beschlich, sind hundert Jahre darauf die Filmschöpfer sicher einzubeziehen. Zum Finale des Zweihundertjahre-Tamtams soll neuzeitlichen Amadeus-Amateuren ein Uralt-Mozartkügelchen aus der kinematographischen Mottenkiste untergejubelt werden. Ein längst vergessener Georg Wildhagen vergriff sich weiland 1949 als erster für die DEFA an einem Opernstoff, um sein Salzburger Mozarteum Mütchen ausgerechnet an Figaros Hochzeit zu kühlen — einem Opus, von dem er herzlich wenig angetan schien. Eifrig werkelte der damals 29jährige Filmeleve an des Meisters Opera buffa KV 492 herum, bis die offenbar allzu vertrackt-verworrene Beziehungskiste auf dem Schlosse des Grafen Almaviva — wo alle alles über alle wissen mußten — kurzweilig und gemeinfaßlich ausstaffiert war. Wenig mehr als die Hälfte der 28 Musiknummern langten für diesen volkstümelnden Verschnitt hin. Neben »nebensächlichen« Arien einiger Chargenrollen fielen dem roßkurenden Rotstift auch ungelegene musikalische Höhepunkte zum Opfer, darunter die trübsinnige Kavantine der Gräfin am Beginn des zweiten Aktes. Ist bereits die Entscheidung zugunsten der deutschen Übertragung des italienischen Librettos von Lorenzo da Ponte, besonders mit Rücksicht auf die Rezitative, nicht unstrittig, so sind vom zugrundeliegenden Revolutionsstück La folle journée ou le mariage de Figaro des Beaumarchais überhaupt nur das Namensregister in die »Filmoper« eingegangen. Die Akteure führen sich entweder wie schrullige Hampelmänner oder aufgescheuchte Gänschen auf, deren Bangen und Hoffen zwischen Liebeslust und -leid nicht einen Takt lang ernst zu nehmen sind. Die beiden einzigen Partien, die das angeblich physiognomische Vorzüge favorisierende Casting bestanden (und damit im Playback weniger als ihre sangesunkundigen Kollegen um Lippensynchronisation ringen müssen), sind Figaro und der Graf. Somit gibt ein über Fünfzigjähriger den rebellischen Titelhelden als einen listigen Schurken mit hervorstechendem Oberkiefer, während ein noch Betagterer einen gräflichen Vollidioten mimt, in dessen Munde das »ius primae noctis« zur amüsanten Frivolität wird. Das heitere Ensemble vervollständigen etliche schmucke Lockenköpfchen, deren freizügige Decolletés pausenlos vor Erregung beben, sowie weiters eine echte Eselei. Gelegentliche Textkollisionen sind »spielend« in Kauf zu nehmen. Wer kriegt schon spitz, wenn der eifersüchtige Graf das Tuch lüften müßte, unter das Cherubin schlüpfen sollte, während doch der pubertäre Page unterm Bett der frustrierten Gräfin ungleich eindeutigeren Effekt macht. Bei dessen weiterem Schicksal treibt die Inszenierung noch tollere Blüten. Von seinem Brotherren zum Offiziersdienst abkommandiert, tagträumt der androgyne Softie tränenden Auges von blutigem Schlachtengetümmel.
»Opernstars von einst« gaben dem unfreiwilligen Klamauk ihre Stimme. Ein Werbeslogan zur unvermeidlichen Wiederaufführung im gleichfalls unvermeidlichen Mozart-Jahr, der freilich bereits zur über vier Jahrzehnte zurückliegenden Uraufführung des »historischen« Schwarzweiß-Schinkens seine Berechtigung hatte. Mozart zum zweihundertjährigen Vergessen, das »die Hörer durch Bearbeitung ihrer hysterischen Erregbarkeit in Rage versetzen« will. Shaw: »Darum hören wir auch nicht viel Mozart, und was wir hören, trägt weitgehend dazu bei, ihn um sein Ansehen zu bringen.« Roland Rust
Figaros Hochzeit , Drehbuch und Regie: Georg Wildhagen. Kamera: Eugen Klagemann, Karl Plintzner. Mit Willi Domgraf- Fassbaender, Mathieu Ahlersmeyer, Angelika Hauff (Gesang: Erna Berger), Sabine Peters (Tiana Lemnitz). Berliner Staatskapelle, Leitung: Artur Rother. DEFA 1949 (WA). Ab 16.12. in der Filmbühne am Steinplatz.
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