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Feindbild Honecker

■ betr.: "Honecker in der chilenischen Botschaft", taz vom 13.12.91

betr.: „Honecker in der chilenischen Botschaft“,

taz vom 13.12.91

Hat denn nun die Weltöffentlichkeit trotz aller Gefahren und Bedrohungen nichts Besseres zu tun, als auf dem alten Mann rumzuhacken? Während die noch amtierenden Diktatoren der Welt weiterhin seelenruhig ihre „Arbeit“ tun, lassen die Politiker ihre PR-Gelüste an einem schwerkranken Mann aus, der zu seiner Zeit als Handlanger des Regimes davon überzeugt war, seine Pflicht zu tun.

Feindbilder aufzubauen — das ist wohl keine Lösung der Vergangenheitsbewältigung. Oder eben doch ganz im Stil der Neuen Weltordnung. Lieselotte Domke, (West-)Berlin

Daß sich der gesamte staatstragende Medienapparat auf die Notwendigkeit einer Auslieferung des Ex- Staatsratsvorsitzenden eingeschworen hat, kann nicht verwundern. Das Kompensationsbedürfnis einer Gesellschaft, die aus ihrer historischen Kontinuität heraus nie in der Lage war, ihre Geschichte zu verarbeiten, findet in der Opferung Honeckers eine Möglichkeit, sich dieser zu entledigen.

Da spielt es dann ebensowenig eine Rolle, daß dieser Mann seine stalinistische Karriere als von den Nazis mit dem Tode bedrohter Antifaschist begonnen hat, während in der BRD von Gehlen bis Strauß die personelle Kontinuität des Dritten Reichs beim Aufbau der Demokratie prägend und gestaltend weiterwirkte, wie der Umstand, daß das in Sabine Rückerts Kommentar einmal mehr erwähnte „Unrechtssystem“ sein antidemokratisches Potential erst im Laufe des Kalten Krieges entfaltete und daß Honeckers Amtszeit geprägt war von der — freilich auch zwanghaften — Notwendigkeit, das sozialistische Modell gegen die neoimperialistischen Übernahmeversuche des freien Westens zu verteidigen, von dem er wohl wußte, daß der so frei nicht war.

Hätte — rein hypothetisch betrachtet — der westdeutsche Staat seine zunehmende Autonomität innerhalb des Staatensystems darauf verwandt, das sozialistische als gleichberechtigt alternatives Modell innerhalb einer vom gleichen Schicksal betroffenen Nation moralisch und wirtschaftlich zu unterstützen, so hätten die für die DDR typischen paranoid-totalitären Ausprägungen wie Stasi und Reiseverbot gar nicht erst entstehen können.

So verwerflich die historisch erklärbare Verführbarkeit eines Volkes zu umfassend gegenseitiger Bespitzelung ist, so durchsichtig ist der Versuch, sich dieser Verantwortung durch Mauerschützenprozesse und Straßenumbenennungen zu entziehen. Auch die Verurteilung Honeckers durch eben jenes System, das im Sozialismus schon immer seinen Gegner sah, ist Teil einer solchen Strategie. Die bigotte Selbstgefälligkeit, mit der die „Sieger“ dabei zu Werke gehen, ist es, die vor ein Tribunal gehört, und zwar ein für allemal. Dirk Böhm, (West-)Berlin

[...] Natürlich ist es wichtig, jene Verbrechen, die sich in der ehemaligen DDR ereigneten, aufzuarbeiten, und natürlich kommt dabei niemand an der Person Erich Honecker vorbei. Fraglich ist nur, wenn sich die Aufarbeitung von Verbrechen, die in erheblichem Umfang auf gesellschaftlichen Mechanismen beruhen und an welchen ein nicht zu unterschätzender Teil eben jener Gesellschaft (direkt oder indirekt) beteiligt war, auf einige wenige Personen (Mauerschützen, Tisch, Mielke, Honecker und andere) beschränken soll. Ein solcher Versuch einer Aufarbeitung von Verbrechen (sofern diese überhaupt gewünscht ist), kann nur scheitern. [...]

Zudem kann eine Aufarbeitung von Verbrechen, die sowohl in ihren Ursachen, als auch in ihren Auswirkungen eine gesamtgesellschaftliche Dimension haben, nicht vor einem Strafgericht erfolgen. Ein Strafgericht kennt nämlich zwischen der Frage nach Schuld oder Unschuld meines Erachtens keine weiteren Bewertungsmaßstäbe — wie etwa die Fragen nach den kollektiven Ursachen von Verbrechen und der entsprechenden Schuld. Fragen, die aber hinsichtlich der Aufarbeitung der Verbrechen, um die es hier geht, eine zentrale Bedeutung haben.

Insofern ist eine Auseinandersetzung verschiedener gesellschaftlicher Gruppen vonnöten, die es Tätern und Mittätern, Opfern und Mitopfern ermöglicht, die Schuldfragen der Verbrechen einer ehemaligen DDR zu stellen, um dann gemeinsam nach Antworten zu suchen — auch wenn eine solche Auseinandersetzung alles andere als einfach ist. Anderenfalls kann ich Erich Honecker nur wünschen, daß Chile ihm Asyl gewähren wird. Hermann Theisen,

Bad Münster am

Stein-Ebernburg

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