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Weg frei für Stasi-Akteneinsicht

Bonn (ap/dpa) — Die Opfer des ehemaligen DDR-Staatssicherheitsdienstes können vom nächsten Jahr an Einblick in ihre Stasi-Akten bekommen und auch die Namen von Personen erfahren, die sie bespitzelt haben. Nach dem Bundestag billigte gestern auch der Bundesrat das Stasi- Unterlagen-Gesetz, das ein „Auskunftsrecht für jedermann“ vorsieht. Vor allem die ostdeutschen Länder drängten auf ein schnelles Inkrafttreten des neuen Gesetzes, obwohl sie auch Mängel beklagten und eine baldige Überarbeitung für notwendig halten.

Nach dem Gesetz werden alle personenbezogenen Stasi-Akten zentral beim Bundesbeauftragten für diese Akten in Berlin gesammelt und erschlossen. Alle öffentlichen Stellen und Privatpersonen, die solche Akten in ihrem Besitz haben, müssen sie an den Bundesbeauftragten abliefern. Die bundesdeutschen Nachrichtendienste sollen im Normalfall keinen Zugriff auf die Unterlagen haben. Zugleich wird der Personenkreis erweitert, für dessen Überprüfung auf Stasi-Verstrickungen die Akten herangezogen werden können — so sollen zum Beispiel auch Gewerkschaften oder Kirchen die Möglichkeit bekommen, Personen vor der Wahl in wichtige Funktionen zu überprüfen.

Der thüringische Innenminister Willibald Böck warnte vor dem „bedrohlichen und explosiven“ Inhalt der Dossiers. Die Opfer müßten beim Einblick in die Unterlagen ein „Recht auf Betreuung“ haben, um mit den Erkenntnissen über Spitzel aus dem engsten Umfeld oder dem Familienkreis fertigwerden zu können. Die im Gesetz vorgesehenen Landesbeauftragten für die Stasi- Akten könnten diese Aufgabe übernehmen, schlug Böck vor.

Die unbefugte Veröffentlichung von Opferakten und das wörtliche Zitieren aus Originaldokumenten ist künftig strafbar. Der Deutsche Journalisten-Verband (DJV) hat dies scharf kritisiert; das Gesetz schränke die Pressefreiheit ein.

Ab dem 2. Januar 1992 können Interessierte ihre Akten bei der Berliner Stasi-Akten-Behörde einsehen. Deren Sprecher, David Gill, befürchtet, daß es wegen des großen Andrangs zu längeren Wartezeiten kommen wird. Es könne Monate dauern, bis die AntragstellerInnen ihre Dossiers einsehen könnten. Er kündigte an, daß bei der Bearbeitung der Anträge Prioritäten gesetzt werden. Neben Oppositionellen sollen auch ältere BürgerInnen schnellstmöglich bedient werden.

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