: Das Hirn als Leinwand?
■ Zur „Woche des Hörspiels (5)“ in der Berliner Akademie der Künste
Wie schon so oft bewies die Akademie der Künste (West) auch in dieser Woche Mut zum medialen Widerstand: Während im großen Theatersaal zum fünften Mal der alljährliche Wettbewerb „Woche des Hörspiels“ inszeniert wurde, waren die Stellwände draußen im Foyer an die Konkurrenz vergeben. Auf Hochglanz, wenn auch im kleinen Format, feierte hier der „große Bruder Film“ Triumphe.
Verlockende Szenenfotos aus Billy Wilders schlüpfrigem Klassiker Irma la Douce zum Beispiel: Langbeinige Damen in eindeutigen Posen balancieren, die Hüften verheißungsvoll gedreht, auf hochhackigen Schuhen. Licht glitzert über dem regennassen Pflaster. Hier präsentiert sich die Filminudstrie als das, was Radiokunst nicht leisten kann: als Wunschbildmaschine! Haben die Hörspiele drinnen im Saal überhaupt eine Daseinsberechtigung bei so viel sinnlicher Übermacht? Oder sind sie nur Blindgänger einer ohnehin verstaubten Kulturnische, der Radiokunst? Wie gut, daß es für Skeptiker Veranstaltungen wie diese gibt, wo man sich vom munteren Treiben Davids im Schatten des Riesen Goliath überzeugen kann!
Wenn im großen Saal das Abendritual vollzogen wurde — Licht aus, Spot auf die futuristische Büste im sonst leeren Bühnenraum — dann verstummte der Publikumskrach zum Raunen. Eine erstaunlich bunte, junge Menschenmenge lauschte den Stimmen, Geräuschen, Sprach- und Musikfragmenten: Das Hörerbewußtsein war nun Leinwand. Viel Spannendes spielte sich dort ab. Und weil der Wettbewerb keine thematischen Auflagen an die Sendeanstalten schickt — eben nur ihr Bestes aus dem letzten Produktionsjahr anfordert — kam von allem etwas.
Es gab Berichte, Geräusche, Musikvignetten, die sich mal zu Geschichten verdichteten (Der Kindernarr, Rolf Niederhauser), mal als Dialog mit sozialkritischem Hintergrund zwischen Betroffenen abliefen (Klappe zu, Norbert Marohn) und mal als selbständiges, fast abstraktes Tongebilde bunte Schatten auf den schwarzen Bühnenhohlraum werfen. Roberto und Gulliver (Pierre Klossowski) ist so ein Hörstück. Ein Divertimento, kurz, überraschend und grotesk. Hervorgezaubert wird es aus dem Grenzbereich von Musik und Sprache, assoziative Bilderfluten überströmen die geneigte Hörerschar.
Doch auch sparsam inszenierte Stücke hatten ihren Fan-Kreis: galoppierend, fast atemlos spricht Michael König den grotesk-absurden Text Die alte Frau von Daniel Charms. Auch ohne reißerische Regieeinfälle schlägt er mit seiner „körperlosen“ Stimme das Publikum in seinen Bann. Und dennoch ist das Hörspiel weder hier noch sonstwo nur verlängerter Arm, das Ohr der Literatur! Es erhält, je nach persönlichem Geschmack, einen eigenen Sinn mit der Lust am schöpferischen Hören.
So unterschiedlich auch das Angebot der eingereichten Stücke war, eines fehlte ihnen nie: ein Kommentar — und sei er noch so versteckt — über die Relativität von Wirklichkeit: „Ich träume — also bin ich!“ — Weht so der Zeitgeist?
Wie dem auch sei, die ausgeloste Publikumsjury — eine buntgemischte „Fünferbande“ wird es mit der Entscheidung schwer haben. Der glückliche Gewinner des symbolischen Preises, des „Lautsprechers“, wird eine Sendeanstalt, kein(e) AutorIn sein. Heute abend wird entschieden. Gaby Hartel
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen