: ZWISCHEN DEN RILLEN: My Bloody Valentine / The Teenage Fanclub / Lush
Diese Band entzieht sich allem. Bloß keine Statements, die Zuordnungen erleichtern, keine Modezeichen, in denen man festsitzt. Statt dessen auf Fotos immer wieder ein Posieren in Grau, in nichtssagenden Pullovern oder Sweatshirts. My Bloody Valentine, das sind Studententypen, alle schon mal gesehen und doch undurchschaubar, freundlich, aber ohne Appell oder Message. Auf dem Cover von Loveless, der neuen LP, sind sogar die Gesichter verschwunden, man sieht nur noch Hände, Gitarren und Saiten in Bewegung.
Ebenso genügsam ist die Musik. Sie will niemand bekehren oder überzeugen, ist trotz furioser Einsätze und Noise-Gitarren ganz ohne vordergründige Dramatik. Only Shallow, Loomer, Touched, Sometimes, Soon — die Titel drängen sich nicht auf, bleiben offen für Assoziationen. Kein schneller Aha-Effekt ist das Ziel. Bilinda Butchers Stimme geht konsequent jeder Rockphrasierung aus dem Weg. Noch nicht einmal das Schlagzeug setzt Akzente, meist agiert es derart bescheiden im Hintergrund, daß es fast die Wahrnehmungsschwelle unterschreitet. Rockmusik ist das kaum noch. Die Spannung entwickelt sich aus der Wiederholung, einem Kreisen um einige Grundmotive, deren Suspense-Wirkung man allerdings über kurz oder lang mit irritierender Lust erliegt. Beim näheren Hinhören weiß man auch warum: es sind Kindermelodien, deren Klangfarbenständig changieren und zerfließen.
Loveless ist Musik ohne festen Aggregatzustand. Man hört, daß sie zum großen Teil mit Gitarren gemacht ist, meint, den Anschlag herauszuhören, Kunststoff auf Stahlsaiten, kann aber die Klangquelle am Ende doch nicht orten. Zuviele unterschiedliche Schichten überlagern sich, bilden einen Wall of Sound, der keine Zuordnung zu einem einzelnen Instrument oder einer Note mehr erlaubt. Doch obwohl der Song an eine Grenze getrieben wird, an der er ganz in Klang aufgehen will, erstickt der Sound ihn nicht, im Gegenteil: Er hebt ihn hervor, indem er ihn um eine erstaunlich differenzierte Palette von Feedbacklärm bereichert. Es ist ein wenig wie Malen mit der Gitarre, als würde unablässig Soundfarbe auf ein Grundmuster aufgetragen, auf dem es dann wieder neue Muster bildet.
My Bloody Valentine hätten nach ihrer vielbeachteten letzten LP zur Rave-Band mutieren können. Doch obwohl der Weg durch Remix- Versionen ihrer Songs und den Erfolg von Primal Scream vorgezeichnet schien, haben sie sich für die Introversion entschieden, sich zu einem Punkt vorgearbeitet, an dem die Kommunikation mit der sonstigen Popwelt nur gerade noch aufrechterhalten wird. Loveless gibt ihnen recht. Die Platte ist für nachdenkliche Kiffer ebenso gemacht wie für ausschweifende Asketen. Sie ist der (vorläufige) Höhepunkt eines Konzepts, das eher auf die Peripherie setzt als das Zentrum, und das mehr Beharrlichkeit erfordert als Spielermentalität. Es hat die Gruppe in sieben Jahren von ihrer Heimatstadt Dublin über Holland nach Berlin und schließlich nach London geführt, und ein Ende ist nicht abzusehen.
Verglichen mit der Radikalität, mit der My Bloody Valentine Feedbacklärm als Stilmittel einsetzen, wirkt eine Band wie Teenage Fanclub konventionell. Die Noise-Elemente sind hier keine Konkurrenz für die Melodie, sie entfalten kein Eigenleben, sondern bleiben eine Art Grundierung für konventionelle Popsongs, nett, bunt und ein wenig pummelig wie naive Malerei. Allenfalls rauht die Gitarrenverzerrung den Wohlklang etwas auf und verleiht ihm das Gütesiegel „ehrliche Produktion“, das die Band an ihrem erklärten Vorbild Dinosaur Jr. so sehr schätzt.
Die wahren Vorbilder für den Teenage Fanclub liegen allerdings hörbar weniger in den USA als auf den britischen Inseln, deren Nordhälfte (Glasgow) die Band auch hervorgebracht hat. Titel wie Alcoholiday erinnern in ihrem etwas gesuchten Wortwitz an Carter The Instoppable Sex Machine, Metal Baby kokettiert mit dem Hauruck-Rock von Status Quo, andere Arrangement- und Humordetails haben etwas von den Television Personalities oder den frühen Pink Floyd. File under „Britische Exzentriker“. Musik, die sich verehrend oder rekonstruierend auf andere Musik bezieht.
Geht man noch weiter zurück in der Zeit, laufen die Fäden einmal mehr bei den Beatles zusammen, deren Non- und Sextakkorde auf Bandwagonesque überreichlich zitiert werden. Sehr originell ist das nicht, aber die konsequente und liebevolle Ausmalung der Melodien spricht doch wieder für den Fanclub-Approach, ist einnehmend, fast rührend in ihrem etwas nostalgischen Willen zum Song und versöhnt am Ende damit, daß die Band von ihren Tauchfahrten ins Meer des Sounds bloß Beatles-Fischstäbchen mitbringt.
Eine dritte Variante im Umgang mit Noise- und Popelementen verkörpern Lush aus London. Die Band, in der die beiden Frontfrauen Emma Anderson und Miki Berenyi den Ton angeben, bürstet mit zwölfsaitigen Gitarren simple Akkordfolgen so lange gegen den Strich, bis die Obertöne deren Konturen aufzulösen beginnen. Ein samtenes, New-Age-angehauchtes Rauschen entsteht, in dem vereinzelte Rückkopplungen umherschwirren und sanfte Fuzz-Sounds die Gesangsparts umschmeicheln.
In dieser etwas ätherischen Melissengeisthaftigkeit unterscheiden sich Lush nur unwesentlich von Bands wie Dead Can Dance oder den Pale Saints, mit denen sie auch das Label (4AD) teilen. Doch anders als bei diesen spukt in der Klangkathedrale ein durchaus weltliches Teufelchen herum. Lush sind unter ihrem spacigen Samtmäntelchen eine Popgruppe, verträumt, großherzig und etwas ungezogen. Dafür spricht nicht nur das Cover des Abba-Stücks Hey Hey Helen, mit dem sie im vergangenen Jahr einen kleinen Hit landeten, oder die Anleihen, die die Band auf der aktuellen LP Spooky bei einigen sehr bekannten Momenten der Popgeschichte zeichnet (Das Baßriff von For Love ist geradezu unverschämt vom Rock Lobster der B52s geklaut). Etwas im Sound selbst widersetzt sich der Idylle, durchzieht ihn wie Schlieren oder haut mit Brachialakkorden dazwischen.
„Lush bring out the aesthete and the beast in us“, schrieb der 'New Musical Express‘ 1990 in einer der ersten Rezensionen, die die Band bekam. Viel mehr als Teenage Fanclub verkörpern Lush die Widersprüche einer britischen Sonic Youth, die längst nicht mehr „Benetton-Generation“ sein will und auf der Suche nach ihrem Ausdruck sowohl das Recht auf verschwiemelte Space-Age-Gefühle als auch auf jugendliche Rotzigkeit für sich zurückerobert.
My Bloody Valentine: Loveless. (Creation/Intercord).
The Teenage Fanclub: Bandwagonesque. (Creation/Intercord).
Lush: Spooky. (4AD/Rough Trade).
LÄRMMALEREI
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