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Last Minute Literatours

■ Kurz abgefertigt: Allerlei bremische Bücher

Die Wüste lebt

Der Himmel über der Wüste galt schon lange vor Bowles als Fluchtpunkt zivilisationsmüder Literaten. Pierre Loti, Hauptvertreter des Exotismus in Frankreich und magisch angezogen von fernen Ländern, suchte auf zahllosen Reisen die letzten Reservate der Ursprünglichkeit. Im Zeichen der Sahara beschreibt seine abenteuerliche Reise durch das noch archaische Marokko vor der Jahrhundertwende. Er schwärmt von der sinnlichen Erfahrung des Klimas, der Farben und Gerüche und beschwört die suggestive Ausstrahlung des Orients als zutiefst Betroffener und genauer Beobachter. Romantische Rückkehr zur Natur mischt sich literarisch überzeugend mit der unbedingten Achtung fremdartiger Lebensformen.

Im Labyrinth der Sprache

Unter schillernden Wortpartikeln, listigen Zweideutigkeiten und knappsten Anspielungen fühlt sich die Sprachjongleuse Ginka Steinwachs am wohlsten. Ihr Sezierbesteck ist scharf und theoriegeschliffen. Sie hantiert wie im Spiel mit jedem Baustein, wägt Sinn im Unsinn ab und umgekehrt und setzt die Teile meistens so zusammen, wie wir es nicht für möglich hielten.

Viele sehen in der lustvollen Dekonstruktion menschlicher Kommunikation eine grobe Schändung „schöner Literatur“. Auch sind Massenauflagen nun einmal nicht zu erzielen, wo special effects und special affects einander umschlingen in einem skandalösen Reigen.

Spaß beiseite

“Geschichten zum Lachen“ dürfen wir erwarten: also hinein in die kuriosen deutsch-türkischen Alltagsabenteuer. Osman Engins sogenannten Satiren sind schnell zu verdauen. Der befreiende Lacher will sich jedoch nicht einstellen. Wir leiden mit dem gebeutelten Osman im Bürokratendschungel, schwitzen zum Nulltarif in der Sauna und nehmen regen Anteil am turbulenten Familienleben. Seine Frau ist natürlich die „zweitgrößte Nervensäge des Orients“. Aber wie wenig originell sind die Ideen, wie ausgelutscht die Stereotype. Kostprobe? „Früh gehe ich zu Bett, obwohl mir absolut klar ist, daß ich kein Auge zumachen kann. Nicht mal mein Hühnerauge“.

Wiederentdeckung

Seit einem Jahr gibt es einen neuen Verlag in Bremen: die Achilla Presse, und ein verheißungsvoller Anfang ist gemacht.Zum Beispiel ist Johanna Moosdorf, eine große alte Dame der Frauenliteratur, Nelly Sachs- Preisträgerin und mittlerweile 82 Jahre alt, mit ihrer Erzählung „Die lange Nacht“ wiederaufgelegt worden.

Weitere Werke der zu Unrecht Vergessenen sollen in ebenso liebevoll gestalteten Ausgaben folgen. Nach wenigen Seiten schon wird das Klima deutscher Nachkriegsjahre spürbar. Eng, bigott und bieder. Die doppelte Moral in einer tragenden Rolle. Wispernde Stimmen, unterdrücktes Begehren, Heimlichkeiten, alkoholgetriebene Kneipenphilosophien, erotische Spannungen, all das ist in verschachtelte Monologe gepackt.

Sie ergänzen, widersprechen einander und beschreiben exemplarisch eine Welt, in der die Hoffnung lediglich die Vorstufe des Scheiterns ist.

Bremen in der Literatur

„Bremen sieht die Literatur mit argwöhnischen Blicken“, konstatierte Friedrich Engels nach seinen ersten journalistischen Gehversuchen und setzte sich ins anregendere Berlin ab. Verrisse und mangelndes Interesse mußten auch die Worpsweder Maler mit ihrer ersten Ausstellung erfahren. Anfang dieses Jahrhunderts zumindest fielen hierzulande künstlerische Neuerungen auf keinen fruchtbaren Boden. Der Bremer Autor Johann-Günther König liefert nun einen akribisch recherchierten Überblick über das Verhältnis der Stadt zu ihrer Literatur.

Da gibt es interessante und unvermutete Verbindungen. Beispielsweise die des „Gehirnlyrikers“ Gottfried Benn zum hiesigen Kaufmann Friedrich Wilhelm Oelze. Da komplementieren sich gegensätzliche Wesensarten in einem intensiven Briefkontakt. Und Peter Weiss, später für seine „Ästhetik des Widerstands“ mit dem Bremer Literaturpreis ausgezeichnet, verwies oftmals auf seine Wurzeln in der Neustadt und später im feinen Villenviertel um die Markusallee. Ein anregender, kurzweiliger Streifzug durch das Kulturland Bremen.

Theater-Treck

Der Bund deutscher PfadfinderInnen macht's möglich: WildwuX. Seit acht Jahren wird das nasse Dreieck zwischen Elbe und Weser durch dieses ungewöhnliche selbstverwaltete Theaterprojekt heimgesucht. Zumindest die Jüngeren in Otterndorf, Bederkesa oder Rotenburg wissen die alljährlichen Spektakel auf selbstgezimmerten Bühnen zu schätzen. Von altbackener Naturromantik ist keine Rede, vielmehr von geballter Lebenslust. Nun liegt erstmals im Buch ist eine reich bebilderte Dokumentation dieser Vagabondage vor. Die Entstehung von Stücken wird ebenso beschrieben wie das enge Zusammenleben einer Gruppe von ungefähr zwanzig Menschen während des abschließenden Trecks über Land. Deutlich wird auch, wie sehr die Arbeit die Beteiligten verändert: Kultur von der Basis, und nicht immer voll gelungen. Dennoch zur Nachahmung empfohlen.

Per Hansen

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