: Die beste aller Welten — umsonst und drinnen
■ Stefan Gerhard über ein zweitägiges Feiertagsereignis: sechs Bands live und eintrittsfrei im Duncker-Club: »Lemonbabies«, »Huah!« u.a.
Allen Freunden nachgemachter Lieder (FNL) und anderen Cowboystiefelträgern mit Hochschulreife sei der konformistische Gitarrenpop von Prussia ans kalte Herz gelegt. Zwischen Lloyd Cole und »All together now« adaptieren die brandenburgischen Aushilfs-REM sanftrockende Hitparadenmusik. Unverständlich, was gute Handwerker immer wieder zu den gleichen Belanglosigkeiten treibt.
Fußkantenwipper- und Zigarettenschnipper-Groove präsentieren auch die Juggernauts. Bieder wie befriedete Hausbesetzer, penibel wie die schwerhörigen Paketabfertiger im Postamt 36 und großmäulig wie S-Bahn-Surfer gemahnt die verstaubte Musik tatsächlich an die Nekropole. Was Brian Addams vorjuckelt, verderben die Berliner allemal. Alles stagniert im Gitarren-Machismo: nur der mit Leidensdruck vorgebrachte überzeugend wie schneidende Gesang sollte gelegentlich luxussaniert werden. Letzter im Bunde am 25. ist die Frauenrockgruppe She-Devils, die statt einer musikalischen eine literarische Kostprobe im Bandinfo gibt: »Okay, irgendwo da draußen in dieser bizarren Millionenstadt treiben diese fünf Höllenkatzen ihr Unwesen, und es gibt keinen Weg, ihnen zu entkommen.« Oh doch.
Am Donnerstag (26.12.) wird alles gut: da spielen neben den Lemonbabies zwei weitere Bands bekennend peinliche Musik für Melancholiker und Tänzer, die im Geiste langhaarig geblieben sind. Eine schrille hohe Orgel und holprige Rhythmen zeichnen die Beatmusik der jungen Frauen aus, zu denen sie vierstimmig von Liebesleid und Telefonen, die nie klingeln, singen.
Die Leichtigkeit von Girlgroups wie den Ronettes haben die Zitronenkinder zwar nicht, das Defizit machen sie aber durch ihren Charme wett.
Huah! aus Hamburg spielen die schönste Musik, die 1990 für eine Langspielplatte aufgenommen wurde. Erbaulich und tanzy stellen die weißen B 52's mit ihrem Twingel-Twangel-Beat die richtigen Fragen und Forderungen. Von Schmu (»Ich will ein Mädchen kennenlernen«) bis E-Musik (Kraftwerks »Autobahn« in Rockinstrumentierung) suhlt sich Huah! mit Chor und Bläsersatz im Geiste Syphs, ohne sich mit fehlfarbenem Pathos zu bekleckern.
Über die Silberbones ironisiert ein Stadtmagazin: »Dumme Texte, abgegessenste Melodien und eine absolut amateurhafte Produktion vereinigen sich zu einem Album, am dem wirklich nur geistig Minderbemittelte ihre Freude haben werden.« Und das klingt so: »Angelina, spür nur mal mein Herz / Angelina, es krümmt sich vor Schmerz / spiel mir bitte keinen bösen Scherz.«
Gekonnt führt das Trio die schönsten Stücke verunglückter Popmusik aus Probekellern städtischer Jugendheime vor — unentschieden zwischen Schlager und einem Dilettantismus, den zu bewahren oft schwerer fällt, als ein Instrument zu beherrschen.
Am ersten und zweiten Feiertag, jeweils 20 Uhr, im Duncker-Club, Dunckerstraße 64 (Prenzlauer Berg)
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