Sprung in den Fettnapf

■ Elisabeth Eleonore Bauer rät (ab): Oper & Konzert

Au Backe, diese Berliner und ihre Landesbank! Wenn das man gutgeht: Hinten prangt satt ausgeleuchtet unsere schöne Lindenoper, vorne springt eine nicht minder schöne Dame schwungvoll, dabei aber doch mit beachtlich züchtig verhüllten Gliedern und einwandfrei gußeiserner Wellafrisur gestreckten Fußes... ja, wohin springt sie denn bloß?

»Der Sprung nach vorn« sei das — behaupten die Werbefritzen. Sie haben aber nicht in den Spielplan der Lindenoper geguckt. Da gibt es nämlich zwischen den Jahren nichts, was es nicht schon im alten Jahr reichlich gegeben hätte: erstens nichts, zweitens nichts von Bedeutung und drittens nichts als Ladenhüter. Also ein Sprung zurück? Aber nicht doch! Die frohe Botschaft geht um, daß endlich (am 30. und 31.12.) wieder Glanz in die Hütte kommen wird: Barenboim kommt, persönlich. Echt, er kommt wirklich! Obwohl er das ja eigentlich gar nicht bräuchte, wo er doch noch so gut wie kein Geld gekriegt hat.

Er wird dann aber auch ruckzuck das Haus zurück in die lichte Zukunft führen, mit nur zwei Galakonzerten. Der Plan ist geradezu genial: das erste Konzert für die gewöhnlichen Berliner (die ohne Landesbank) — das zweite für die besseren Leute, die es sich leisten können, gleich mehrere Clara-Schumanns hinzublättern für den anschließenden Silvesterball mit Buffet. Tatsächlich also ein Sprung nach vorne, mitten hinein in die leckeren Kanapees. Und wir hoffen sehr, daß da nicht wieder Berliner Spezialitäten serviert werden, wie das früher schon mal passiert ist: Schmalz und Schrippen z.B. — sonst wird's am Ende bloß schon wieder ein Sprung in den Fettnapf.

Das Konzertprogramm wollen Sie auch noch wissen? Wissen Sie doch längst, wetten? Na? Ja? Genau. Beethovens Neunte natürlich. Die kennen Sie schon? Dann gehen Sie mal um die Ecke ins Schauspielhaus, da macht Abbado mit den Berliner Philharmonikern zur gleichen Zeit ein prima Kontrastprogramm: zwar auch Beethoven, aber nicht nur das Zeug, das sowieso alle auswendig mitsingen können, sondern neben Egmont und Leonore noch die völlig verrückte Chorphantasie sowie, mit der großartigen Cheryl Studer, diese großartige Konzertarie op. 65, die mit dem Stoßseufzer anfängt: »Ah, perfido!« Das ist doch ein Wort.

In der Komischen und der Deutschen Oper gibt es traditionell zwischen den Jahren jede Menge Ballett. In letzterer aber außerdem, wie schon seit gut einem Vierteljahrhundert, zum allerletzten Mal Humperdincks Weihnachtsoper Hänsel & Gretel (28.12.), was für opernbesessene Omis wie Enkel immer wieder ein Fest ist, weil es nur hier noch Knusperhäuschen, Hexe, Donner, Blitz usw. und eine ausgewachsene Sängerin in kurzen Hänselhosen zu sehen gibt, die sehr laut und hoch trillern kann. Das ist wirklich ganz wundervoll (ich persönlich habe das schon viermal erlebt und noch lange nicht genug davon). Bemerkenswert auch die Bilderbuchwelt von Bühnenbild und Kostümen, die vor vielen Jahren, als er noch ziemlich unbekannt war, der berühmte Gottfried Pilz gefertigt hat. Die opernbesessenen Eltern sollten ihrerseits unbedingt das endgültige Ende des Mozart-Jahrs feiern und sich Krämers Inszenierung der Zauberflöte (1.1., Deutsche Oper) noch einmal reinziehen. Oder, wahlweise der Tip für Mozart-Allergiker: Kupfers Inszenierung der Verkauften Braut (30.1., Komische Oper).

Was es überhaupt nicht gibt heuer und dringend geben müßte, ist, wenn Strauss, dann Johann, und zwar: Die Fledermaus. Das ist verwirrend, wenn nicht gar ein Skandal — und wir wollen uns da auch überhaupt nicht abfinden lassen mit zwei popeligen Ersatz-Strauss-Konzerten (29.12. und 1.1., Komische Oper) oder mit dem Phantom der Oper (ICC) oder mit irgendwelchem neumodischen Quatsch! Wir wollen, bei immerhin drei Opernhäusern und zwei Musical-Theatern in dieser Stadt, zum Jahreswechsel mindestens eine Fledermaus, Fledermaus! Merkt euch das gefälligst!

Es gibt freilich Leute, die schwören drauf, daß weder Fledermaus noch Neunte nötig sind zwischen Gänsebratengastritis und Silvesterkater. Daß die einzig zuverlässig wirksame Verdauungshilfe die erste bis dritte (bzw. vierte bis sechste) Kantate des Weihnachtsoratoriums von J.S. Bach sei, einzunehmen pünktlich am ersten (bzw. zweiten) Feiertag — je nachdem, wann man die Gans gegessen hat. Und nicht mal das klappt 1991 in Großberlin: Sie könnten es höchstens ersatzweise mit einer kleinen Dosis ausprobieren, und zwar mit den Kantaten No. 1-3 (26.12., St.-Hedwig-Kathedrale) oder Kantate No. 4 (26.12., Evangelische Kirche Neu Westend) oder Kantate No. 5 (26.12., Ernst-Moritz-Arndt-Kirche). Diese Angaben sind ohne Gewähr.