Die Aorta getroffen

■ Joschka Fischer legt Siemens-Brennanlagen lahm und attackiert damit die Atomindustrie auf ihrem eigenen Terrain

Die Aorta getroffen Joschka Fischer legt Siemens-Brennelementewerk lahm und attackiert damit die Atomindustrie auf ihrem eigenen Terrain

Der hessiche Umweltminister Joschka Fischer schlägt die Atomindustrie mit ihren eigenen Waffen. Streng am Atomgesetz orientiert, schöpft der gewitzte Grüne seinen Handlungsspielraum voll aus — und versetzt so der Weltfirma Siemens in Hanau einen empfindlichen Hieb nach dem anderen. Mit seiner neuen Stillegungsverfügung vom Wochenende, für die ihm der atomfreundliche TÜV- Bayern die Grundlage erarbeitet hat, traf Fischer die „Aorta“ des atomaren Kreislaufsystems: Nur die Brennelementeschmiede in Hanau garantiert die Versorgung der deutschen AKWs mit neuen Kernbrennstäben. Offenbar will Fischer nach dem „kleinen Finger“ — Stillegung der Mischoxyd-Verarbeitung ( Plutonium/Uran) — jetzt die „ganze Hand“.

Den „schwarzen Peter“ hält bei diesem Spiel Bundesumweltminister Klaus Töpfer (CDU). Immerhin beruft sich Fischer auf eine Expertise einer staatlichen Institution, in deren Aufsichtsrat Vorstandsmitglieder der Siemens AG sitzen. Töpfer hat Fischer nach Bonn zitiert. Weist er nach diesem „atomaufsichtsrechtlichen Gespräch“ seinen hessischen Kollegen an, die insgesamt drei Stillegungsverfügungen wieder aufzuheben, trägt er für alle kommenden Stör- und Unfälle in Hanau die alleinige Verantwortung — und ist der Büttel der Atomindustrie. Teilt er dagegen Fischers Sicherheitsbedenken, hat dieser im Kampf gegen die Atomindustrie auch auf dem Bonner Parkett einen wertvollen Punktsieg errungen.

Weil die hessischen Sozialdemokraten — anders als in der Endphase der Regierung Börner/Fischer — heute die von den Grünen forcierte Ausstiegspolitik mittragen, kann Joschka Fischer von einer gesicherten Position aus seine „Politik der Nadelstiche“ (Siemens) gegen die Atom- und Plutoniumwirtschaft fortsetzen — immer entlang der verabredeten Linie von „Recht und Gesetz“ (Fischer). Und das hat selbst gestandene Gewerkschafter in den Reihen der Landtagsfraktion der hessischen SPD beeindruckt und zu einem vor vier Jahren noch undenkbaren Bekenntnis animiert: „Die Atomindustrie hat keine Zukunft mehr.“ Genau an dieser Maxime orientiert sich in Hessen die Realpolitik. Klaus-Peter Klingelschmitt