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Wer entschärft die Minen in Somalia?

Vergrabene Minen führen im afrikanischen Somalia zu Massensterben/ Bonn drückt sich um Hilfe  ■ Von Franz Alt

Die Hilfsorganisation „Cap Anamur“ verhandelt zur Zeit mit dem Bonner Verteidigungsministerium über die Entsendung von 20 Minenräumpanzern an das Horn von Afrika. Im Norden Somalias, das sich unter dem Namen „Somaliland“ unabhängig erklärt hat, sollen sie bei der Beseitigung von Millionen Minen helfen — Hinterlassenschaft des einstigen Diktators Siad Barre, der jahrelang Krieg gegen die somalische Bevölkerung führte. Bislang weigert sich das Verteidigungsministerium, die Minenräumpanzer zu übergeben, obwohl ein mit Hilfsgütern beladenes Schiff von Cap Anamur abfahrbereit im Hamburger Hafen liegt. Am Montag soll in Bonn die endgültige Entscheidung fallen. Wir dokumentieren einen Bericht des TV-Journalisten Franz Alt, der im Dezember Nord- Somalia bereiste.

„Drei Millionen Menschen leben in Somaliland. Zwischen zwei und drei Millionen Minen sind im Land versteckt. Das Minenproblem ist am einfachsten dadurch zu lösen, daß jeder Somali auf eine Mine tritt.“ Der Rot-Kreuz-Helfer Michael Escher aus Meppen, der seit August in der somalischen Hafenstadt Berbera Lebensmittel und Medikamente an Kriegsopfer, Witwen und Waisen verteilt, hat Grund für seinen Sarkasmus. Jeden Tag treten mehrere Dutzend Somalis auf Minen. Die Kinder unter sechs Jahren sind meistens gleich tot. Den überlebenden Älteren fehlt anschließend ein Bein, eine Hand, ein Auge oder auch beide. Ein Nomade erzählt uns in Hargeisa, der Hauptstadt des jüngsten afrikanischen Staates, Somaliland, wie er mit zehn Eseln und neun weiteren Nomaden zum Wasserholen unterwegs war: Alle zehn Esel und die anderen neun Nomaden wurden von einer „Anti-Panzer-Mine“ in die Luft gesprengt. Er hat als einziger überlebt.

Als ich mit dem Kameramann Günter Link in Hargeisa lande, detoniert eine Mine zwei Meter vom Rollfeld des Flughafens und reißt einem Nomaden den rechten Fuß ab. Kurz vor dem Abflug sehen wir im Krankenhaus in den Armen seines Vaters den 19jährigen Mohamed Abdi Dirie verbluten. Eine Mine hatte ihn und drei andere junge Männer in ihrem schon vorher zerstörten Haus zerfetzt.

Allein in Hargeisa sind nach dem Befreiungskrieg gegen den Diktator Siad Barre 12.000 Minenopfer in den letzten sechs Monaten registriert worden, die meisten von sogenannten „Anti-Personen-Minen“ getroffen. Täglich werden es mehr. Noch in Jahrzehnten sind die Minen am Horn von Afrika scharf.

In einem kleinen Straßencafé mitten in dem zu 90 Prozent von den Soldaten des Diktators zerstörten Hargeisa frage ich beim unsäglich versüßten Kaffee den Verteidigungsminister des neuen Somaliland, was seine Regierung gegen den Minenterror unternehmen könne. „Fast nichts“, meint der redselige 40jährige Hassan Gama Isa, dessen Regierung bis jetzt von keiner anderen Regierung der Welt anerkannt ist.

In Somaliland sieht es aus wie in Deutschland 1945. Steuern gibt es noch nicht. Der Verteidigungsminister bezahlt seine Soldaten mit „food“, falls er gerade etwas hat. Seine „Befreiungsarmee“ hat den Soldaten Siad Barres über eine Million Minen abgenommen. „Wozu brauchen Sie Minen?“ will ich wissen. „Überhaupt nicht“, sagt er, „aber wenn wir sie ihnen nicht abgenommen hätten, hätten sie noch mehr im Boden versteckt. Wenn eine ausländische Regierung dafür sorgen will, daß die Minen ungefährlich verschrottet werden, bitte sehr! Wir brauchen dieses Teufelszeug nicht. Wir selbst können die Minen nicht entschärfen. Wie denn?“ Nachts klopfen die Leute an seine Tür und bringen ihm Minenopfer. Der Verteidigungsminister hat viele schlaflose Nächte.

Erst als die „Deutschen Notärzte“ im Juli 1991 selbst ihr erstes Minenopfer in Somaliland nach Deutschland ausfliegen mußten, haben einige Zeitungen hier darüber berichtet. Eine Mine hatte zwei weiße Beine abgerissen — schwarze Krüppel scheinen uns weniger berichtenswert. Rupert Neudeck hat als Vorsitzender der „Notärzte“ damals den Vorstandsvorsitzenden von Dynamit Nobel, Axel Homberg, gefragt, ob seine Firma nicht ein Zeichen für die ganze Welt setzen und die Produktion der Minen vom Typ „Skorpion“ einstellen wolle — „aus humanitären Gründen“. Die Herren von Dynamit Nobel haben diese Frage nicht verstanden. Dynamit Nobel hält Neudecks Schilderungen über den Minenterror für eine „irrige Annahme“.

Ich empfehle den Minenproduzenten, sich einmal die Opfer ihrer Produkte auf einem Operationstisch anzuschauen. Die Helfer der „Deutschen Notärzte“ in Hargeisa sehen Tag für Tag Klumpen von Menschen, denen Minen den halben Kopf weggerissen haben und aus deren Kopf die Gehirnmasse rinnt. Im Krankenhaus in Hargeisa liegt seit 40 Tagen regungslos die 10jährige Nimo Abadir — ohne Hände und verbrannt am ganzen Körper. Das geschundene Kind zittert am ganzen Körper, als wir es filmen, weil es befürchtet, mit unseren Apparaten würden ihm auch noch die beiden Armstümpfe abgeschnitten.

Zur Zeit buddeln, finanziert von der EG, vier Engländer und 140 angelernte Somalis mit bloßen Händen nach den zwei bis drei Millionen Minen im Lande. Ein Teil der Somalis ist barfuß bei der Arbeit. Drei von ihnen hat es bereits erwischt. Sie sind für ein Leben lang ohne Bein oder Arm. Täglich finden die Minensucher um Hargeisa zwischen 20 und 60 Minen. „Wir buddeln in Jahrzehnten noch“, sagt der Leiter der Truppe, Alf Slingsby, „wenn wir keine Minenräumfahrzeuge bekommen, die zur Zeit in den USA, in England und Deutschland ungenutzt herumstehen“.

Der Aufschrei hat Bonn erreicht. Das Verteidigungsministerium will jetzt 20 Minenräumfahrzeuge nach Somaliland schicken. Nur: Kommen sie auch rasch hin? Und wer arbeitet mit den lebensrettenden Minenräumern vor Ort? Von 1962 bis 1990 haben die Bonner Regierungen den früheren somalischen Diktator Siad Barre mit 89 Millionen Mark Militärhilfe unterstützt. Jetzt ist es an der Zeit, die Opfer des Diktators zu unterstützen.

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