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Teils plüschig, teils schäbig

„Grand Hotel“ in der Leipziger Musikalischen Komödie: Anmerkungen zu Schauplatz und Musical  ■ Von Irene Tüngler

Siehst du den Mond dort über Soho?“ „Ja, ich sehe ihn“ — ach nein, es war nur Leipzig-Lindenau, was haargenau so aussieht, wie man sich Soho zu den Zeiten von Macky Messer und Polly Peachum vorstellt. Der winterliche Vollmond beleuchtet gespenstisch abbröckelnde Fassaden in finsteren Gründerzeitstraßen: Originalschauplatz für ein Vorstadt-Varieté, wie ihn sich Filmszenaristen nur noch träumen können. Drinnen ein Kinosaal mt Kinositzen, teils plüschig, teils schäbig, und durch und durch getränkt mit dem, was man „Ambiente“ nennt. Als hätte das Grand Hotel auf der Bühne der „Musikalischen Komödie“ seinen Titel davon abbekommen. Durchtränkt wird das Haus auch vom sauren Leipziger Regen. Aber, oh Wunder, es gibt den rettenden Engel. Vier Millionen Mark hat Udo Zimmermann, der höchst geschickte Intendant der Leipziger Oper, den Stadtvätern bislang entlocken können. Daß er die Institution „Muko“, wie die Musikalische Komödie tümlich heißt, seinem Imperium einverleibte, erweist sich für Macher und Liebhaber als rettender Strohhalm. Zimmermann interessierte die Denkmalpflege für das Gebäude und ist der entschiedenen Meinung, Operette und Musical unmöglich auf längere Sicht im großen Opernhaus spielen zu können.

Vorläufig bietet das 2.000-Zuschauer-Theater Asyl. Die Gerüste in Leipzig-Soho stehen, an der Fassade und am Dach werden die Bauarbeiten beginnen. Man will bauen, bis die vier Millionen alle sind, lange wird es vermutlich kaum dauern. In beliebig dicken Mappen voller Pläne träumt man — konkret — von nagelneuer Bühnen- und Tontechnik, weniger konkret von Tiefgaragen und Anbauten. Daß die gewisse Atmosphäre, in der die Leute sich scheckig lachen, wenn Herrn Kringelein — der im übrigen zu beachtlicher Form auflief — auf der Bühne die Hose rutscht, dann dem so verbreiteten wie gefürchteten aseptischen Foyer- Frisch zum Opfer fällt, darf befürchtet werden. Aber noch ist es ja längst nicht so weit, und das Spannendste an der letzten Premiere vor dem Umbau war immer noch, ob das Haus zusammenfällt, und wenn ja, wann.

Korrekt betrachtet war die Gefahr allerdings gering, denn die Temperamentsausbrüche auf der Bühne hielten sich in Grenzen. Man benahm sich alles in allem eher wie im Interhotel International in Magdeburg anno 1988 als im berühmten Berliner Bristol 1928.

Vicki Baum, nach deren Roman Menschen im Hotel das Musical Grand Hotel gefertigt wurde, hatte wochenlang im Bristol als Zimmermädchen gearbeitet; die Bühnenkünstler hätten wenigstens ein paar Tage dort wohnen sollen. Aber wo steigen heutzutage noch solche Kuriositäten ab wie Kriegsveteranen, die die Schlachtfelder nicht vergessen, Generaldirektoren, die die Gelder der Gattin in die Firma geben, adlige Diebe voller Mitleid, verarmte Primaballerinen auf Abschiedstournee, schwindsüchige Buchhalter, die ihr Geld verjubeln, oder schüchterne Prostituierte?

Und doch weist er geradezu zwingende Parallelen zum gegenwärtigen Ort der Handlung auf, dieser Reigen durch die Berliner Drehtür gespülter Figuren der Nach-Kaiserzeit, die im losen Boden der zwanziger Jahre völlig den Halt verloren haben. Man hätte ihn nicht schamhaft hinter einem Ballett von Otto-Dix-Figuren verstecken müssen.

Allerdings muß man bewundern, daß dem Regisseur Andreas Knaup zu dieser Musik überhaupt noch etwas eingefallen ist. Die diversen Komponisten der Broadway-Erfolgsproduktion von 1989 sind von musikalischen Einfällen nämlich weitgehend verschont geblieben. Der nachempfundene Sound der Dreißiger klingt blaß, Originalzutaten von 1989, aus welcher musikalischen Richtung auch immer, müht man sich vergebens zu erlauschen. Wenn es schicksalhaft wird, bolerot es kräftig, und wo Madame Grusinskaja in die Spitzenschuhe schlüpft, deutet sich originellerweise Tschaikowsky an.

Daß die Elektroakustik in dem musealen Hause nicht recht funktinierte, wundert nach dem Berichteten sicher niemanden mehr; womit aber kaum entschuldigt werden kann, daß Tenorsingen eine so schwere Kunst ist, daß der Baron Felix von Gaigern davon gleich gar keinen Gebrauch machte. Immerhin aber vereinigte er den Charme mehrerer Fernsehmoderatoren auf sich. Angela Mehling-Hochmut gab eine tatsächlich noch bezaubernde Ballerina auf dem harten Rückweg von der Bühne. Und Tänzerinnen müssen wirklich nicht unbedingt singen können. Dies etwas müdeGrand Hotel hat immerhin das Verdienst, als schlechtes Beispiel schlechte Sitten zu verderben: man versuchte sich gar nicht erst an der mit maximaler Perfektion und minimaler Kreativität betriebenen Abinszenierung amerikanischer Musical-Originalinszenierungen, probierte stattdessen Eigenständiges.

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