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Akzente nutzen, Akzente setzen

Peter Brook hat die grenz- und kulturüberschreitende Ensemblearbeit zum ästhetischen Prinzip erkoren. Überlegungen zu einem Theater mit internationaler Perspektive  ■ Von Georges Banu

Bereichert der Ausländer das Theater des Landes, in dem er lebt? — Die Frage ist rhetorischer Natur, liefert sie doch die Antwort gleich mit. Undenkbar diese im Kunstbereich, zumindest im Westen, anzufechten. Denn die Kunst funktioniert nur als offenes System richtig, das gemäß den Regeln der Physik neue Materialien, frische Informationen aufnehmen und verarbeiten kann. Die Offenheit ist untrennbar verbunden mit der Erneuerung.

Dies erst einmal vorausgesetzt, tauchen im Theater, in seiner unmittelbaren, direkten Dimension, dem Geschehen auf der Bühne, mehr Fragen als in anderen Bereichen auf. Zunächst sollte man sich fragen, ob es heutzutage wirklich einen Konsens gibt? Nichts ist weniger sicher. Gewisse Äußerungen der letzten Zeit lassen daran zweifeln. Im Gegenzug konstituiert sich eine Verteidigungsfront. Und wieder laufen wir Gefahr, uns in der archaischen Logik dieses Jahrhunderts wiederzufinden: Feindschaft bis aufs Messer.

Wenn die Anwesenheit von Fremden eine Bereicherung darstellt, wer verspürt sie? Wird sie einmütig und gleichermaßen so empfunden? Was geschieht eigentlich, daß Menschen ganz und gar positiv oder etwas reservierter reagieren? Es ist vielleicht provokativ, aber sagen wir es ruhig: Nur ein Eingeborener kann die Tragweite des Fremdseins erfassen. Wohl verstanden, ein offener Eingeborener, denn die anderen sind entweder Verteidiger von geschlossenen Systemen zwecks Reinhaltung der Sprache oder Kultur, auch wenn sie im Kontext der großen Städte heute nicht mehr zu finden sind, oder sie sind die Hüter eines rückläufigen Marktes, den sie zu erhalten suchen. Auch im Theater bedient sich der soziale Ausschluß derselben Argumente wie in der Politik: nationale Identität und Arbeitsplatz.

Warum wäre der Eingeborene für die Anwesenheit des Fremden viel empfänglicher? Weil er die solidere Basis hat, in der Sprache vor allem, die ihn seiner selbst vergewissert. Er fürchtet nichts: Wer in seiner Sprache zu Hause ist, kann auch dem Fremden seine Redeweise gestatten. Er kennt die Norm und schätzt die Abweichung ebenso, wie er die Differenz genießt. Er ist der erste, der die Tragweite der Bereicherung begreift. Der sie zu schätzen weiß und sie auskostet. In dieser Hinsicht war die Haltung von Antoine Vitez exemplarisch. Als Regisseur rehabilitierte er den Alexandriner in seiner ganzen formalen Schönheit, kultivierte den Klang der Sprache, weil er sie mit äußerster Genauigkeit hörte, aber er versuchte dennoch nicht, sein Theater in ein Sprachmuseum zu verwandeln. Es glich vielmehr einem Sprachlaboratorium, wo die französischen und ausländischen Schauspieler, stets in seiner Gegenwart, an der Ausweitung des Lautregisters, an der Variation des Rhythmus, an der Durchmischung der Akzente arbeiten mußten. Vitez rühmte die Akzente, weil er in der Irritation des fremden Klangs das Mittel erkannte, die Ausdruckspalette zu erweitern.

Vitez erklärte in Le cuisinier hollandais (Der holländische Koch): „Ich habe mich für fremdländische Akzente aus krankhafter Sorge um die Sprache, in diesem Fall die meine, interessiert. Leute, die mit einem fremden Akzent die schönen französischen Texte sprechen, lassen mich auf meine eigene Sprache reagieren: Ich höre sie anders gesprochen, ich verstehe sie besser. Ich war immer erstaunt über die Unterschiede, die Akzente in der Sprache selbst zu Tage treten lassen. Wenn sich einem mehr oder weniger einheitlichen französischen Akzent fremde untermischen, hat man mehr von der Sprache.“

Die ausländischen Regisseure, die in Paris gearbeitet haben, wie Strehler, Krejca oder Pintilié, haben die Akzente nie geliebt und sie wenig gepflegt. Ihre sprachlichen Bezüge sind schwächer, besonders auf der klanglichen Ebene, und sie scheinen sich auf ein solides Modell stützen zu müssen, das Französische. Während der ausländische Schauspieler durch seine Anwesenheit die Sprache bereichert, so versucht der ausländische Regisseur sie zu verteidigen. Er erinnert an jemanden wie den Rumänen Cioran, der das bis heute schönste Französisch schrieb, oder Kundera, der das korrekteste Französisch schrieb. Der Fremde als Tempelwächter. Aber was auch immer er anstellt, er bleibt fremd, sein Platz wird immer der zwischem dem Gleichen und dem Anderen sein.

David Warrilow, der englischer Herkunft ist, treibt das Vorhandensein von zwei sprachlichen Instanzen, des Englischen und des Französischen, bis zur Perfektion, aber hinter seinem Französisch erklingt — versteckt — immer das entfernte Echo seiner Muttersprache. Wie eine nie versiegende Quelle. Andrzej Sewerin, eigentlich aus Warschau, kämpft mit der Sprache und dennoch dient er dem Theater mit der ausgefeiltesten französischen Artikulation überhaupt, ein verständliches, gutes Französisch, dem noch immer ein leichter polnischer Akzent anhaftet. Alles bei ihnen zeugt von einer lebendigen Beziehung zwischen der Ankunftssprache, die man sich Tag für Tag erobern muß, und einer Herkunftssprache, die noch immer überlebt. Koexistenz der Sprachen, die nicht auf Kriegsfuß miteinander stehen, sondern ständig miteinander anbändeln.

Regisseure wie Ariane Mnouchkine oder Antoine Vitez, die ausländische Akzente in die Sprache integrieren, hören auf, an einer unveränderbaren, national gebundenen Ausdrucksweise zu arbeiten; indem sie sich einem anderen Klanguniversum öffnen, geben sie das Eine zugunsten des Doppelten, wenn nicht gar eines Vielfachen auf. Auf der Bühne hört man nicht mehr nur die Nation, sondern die Stadt, ja die Welt.

Aber liebt man alle Akzente, ohne Unterschiede? Davon sind wir weit entfernt, denn das Zuhören wird von der Herkunft eines Akzentes, besonders in einem bestimmten historischen Kontext, geprägt. So wie ein einheimischer Akzent Reaktionen produziert, die von der Beziehung des Publikums zu einer bestimmten sozialen Kategorie Mensch oder einer Region zeugen, provoziert der ausländische Akzent auf der Bühne Reaktionen, die mit dieser ausdrücklichen Anwesenheit einer anderen Nation zu tun haben. Wie ein bestimmter Akzent aufgenommen wird, beschreibt die Beziehung, die das Publikum mit der Kultur und der Geschichte des Volkes unterhält, das der Körper des Schauspielers über seine Rolle auf der Bühne inkarniert. Elvira Popesco kultivierte, im Paris der dreißiger Jahre, nicht bloß ihren Akzent, sondern gab ihn oft für einen russischen aus, um aus der Sympathie Kapital zu schlagen, die damals der russischen Emigrantenkolonie entgegen schlug. Als in den fünfziger Jahren die russische Armee in Bukarest das Land besetzt hielt, nachdem sie die Kommunisten an die Macht gebracht hatte, wurde der russische Akzent einer Schauspielerin, die außerdem heftig in die offizielle Politik involviert war, von jedermann wie ein weiterer Schlag zur Unterwerfung des Landes empfunden. Der Akzent des Besatzers... Hätte der deutsche Akzent auf einer Pariser Bühne in den vierziger Jahren nicht die gleiche Wirkung getätigt?

Manchmal kann man mit dem Akzent auch spielen. Ariane Mnouchkine bat Andres Perez Araya, einen chilenischen Schauspieler, der den Tschou-En-lai in Sihanouk gespielt hat, seinen Akzent nicht aufzugeben, sondern ihn nichtlokalisierbar zu machen. Der Akzent sollte nur den Ausländer markieren, den herumirrenden Schauspieler ohne Papiere, der die Diktaturen um den Preis seines Berufs flieht. In den Inszenierungen von Antoine Vitez konnte man arabische, polnische, griechische Akzente vernehmen, Ariane Mnouchkine bevorzugt die südamerikanischen. Über die Akzente kann der Zuschauer bestimmte kulturelle Affinitäten des Regisseurs ausmachen, zu was er sich hingezogen fühlt und was ihn kält läßt.

Der Kampf mit der Sprache

Der ausländische Schauspieler muß in die Sprache, die ihm in der alltäglichen Kommunikation ein geläufiges Werkzeug ist, investieren, muß sie erobern. Dieser Kampf, den er auf der Bühne austrägt, evoziert den berühmten Ostranienija-effekt, von dem Schklowski sprach und aus dem Brecht den Verfremdungseffekt machte: mit dem Ziel, die Wahrnehmung zu schärfen, indem er die Wirklichkeit anders, fremd und ungewöhnlich darstellt. In diesem Sinne sprach Antoine Vitez vom Akzent, der ihm gestatte, seine Sprache besser zu verstehen.

Der Kampf mit der Sprache erscheint ebenso oft wie zum Schauspieler dazugehörig, zu seinem Exil, das leider in den meisten Fällen ungewollt ist. Diesem Kampf steht die Verführungskraft gegenüber, die einige Schauspielerinnen dank des Akzents und eines nur annähernd korrekten Gebrauchs der Sprache zu erhalten trachten. Sie spielen „die schöne Fremde“, die Frau von weit her, die stets auf dem Absprung ist. Jane Birkin oder Anna Prucnal kämpfen nicht mit der Sprache, sie verraten sie lässig, kunstvoll, um dem prosaischen Mühen zu entkommen. Ihr Verhältnis dazu ist nicht kompliziert, sondern bloß eine subtile Strategie des Charmes.

Während der Kampf mit der Sprache oder die Verführung durch die Sprache legitim sind, so kann die Vergewaltigung der Sprache auf dem Theater nur abschrecken. Wenn die Norm gänzlich verschwimmt, wenn der Zuschauer nichts anderes Fortsetung nächste Seite

Fortsetzung

sieht und hört als einen „Ausländer“ im eigentlichen Wortsinn, verliert sich das Vergnügen rasch und vernebelt sich der Sinn. Isaach de Bankolés Französisch in Die Einsamkeit der Baumwollfelder war unverständlich, und was einen philosophischen Dialog führen sollte, verlor sich in einem Durcheinander von unverständlichen Brocken. Die Sprache hörte auf, Akteur zu sein, und der Zuschauer schaute konsterniert ihrem Niedergang zu. Auf das Risiko hin zu schockieren, indem ich einen umstrittenen Begriff verwende, behaupte ich, daß es eine sprachliche Toleranzschwelle gibt; jenseits davon hört die Freude am Zuhören auf, und die Kommunikation läuft womöglich ins Leere. Der Erfolg, mit dem Chéreau die Rolle übernommen hat, verdankt sich ebenso sehr dem Schauspieler wie der wieder intakten Sprache. Für das Theater ist der Kampf oder das Spiel mit der Sprache nur auf der Basis fruchtbar, daß die grundlegende Verständlichkeit der Sprache gewahrt bleibt.

Noch eine nennenswerte Beobachtung: In welcher Weise die Beziehung des ausländischen Schauspielers zur Sprache wahrgenommen wird, hängt auch davon ab, welche Beziehung der Zuschauer zur literarischen Vorlage hat. Man mag vielleicht Bruce Myers in einem Shakespeare sehen, aber mit Racine, der den Abstand zwischen den Möglichkeiten der Schauspielers und den Erfordernissen des Textes nur zu deutlich macht, geht er baden. Genauso gern läßt man sich von Sotigui Kouyate als Bishma in der Mahabharata bezaubern, aber im Sturm ist seine Sprache kläglich. Fragt sich, inwiefern die Wahrnehmung davon beeinflußt wird, wie vertraut man mit einer Rolle ist. Den Weisen Bishma gilt es zu entdecken, Prospero kennen wir bereits.

Ein fremder Körper

Der Sprache gesellt sich meist ein fremder Körper hinzu. Manchmal braucht ihn der Regisseur und setzt ihn als solchen ein. Ein Körper, der ein ausdrücklich anderes, fremdes Aussehen hat. Damit kann man auf verschiedene Art und Weise umgehen. Die erste und häufigste ist die, die Figur des Fremden durch den fremden Schauspieler spielen zu lassen. So ging Strehler im Kirschgarten vor, als er den Bettler, der die beunruhigene Stille der Landpartie aufstört, von einem russischen Schauspieler von massiver Statur und mit rauher Stimme spielen ließ, Prototyp eines echten Slawen, der in diese Konstellation hineinplatzt. Wenn Strehler dagegen mit Andrea Jonasson arbeitet, dann integriert er die Ausländerin, ohne von ihrer Herkunft Notiz zu nehmen.

Meist wird auf den ausländischen Schauspieler als Störenfried, als Fremdkörper zurückgegriffen. In erster Linie muß er einen fremden Körper beisteuern, anders sprechen, anders spielen und anders präsent sein. Als Emiliano Suarez in Lorcas Stück ohne Titel, von Lluis Pasqual inszeniert, übertrieben, wie eine Karikatur wirkte, indem er seinen Akzent und seine Physiognomie ausspielte, machte er die eher unbedeutende Vorlage geradezu ergreifend. Kraft seiner Fremdheit geht einem der fremde Körper in seinen eindringlichsten Momenten durch und durch.

Den Anderen besetzen

Antoine Vitez hat anläßlich der Aufführung von Peter Brooks Les Iks beschrieben, wie zum ersten Male bei der Besetzung die ethnische Zugehörigkeit der Schauspieler für die Situationsvorgabe keine Rolle mehr spielte. Ein Engländer, ein Japaner und ein Schwarzer, eine Libanesin, ein Grieche und ein Schweizer erzählen zusammen eine Geschichte, die sich in einem afrikanischen Dorf abspielt. Die Rasse ist bei der Rollenbesetzung kein Kriterium mehr.

Für Brook zählt das verbindende Element mehr als das Trennende. Das widerspricht jedoch bestimmten Schriftstellerwünschen, die die Anwesenheit des Anderen einfordern, jenes Anderen, der für den Europäer immer der afrikanische Schauspieler ist. Genet fordert, daß Die Neger von schwarzen Schauspielern, die weiß geschminkt sind, gespielt werden. Koltès wiederum macht insoweit eine dramaturgische Vorgabe, als daß ein schwarzer Schauspieler die Rolle des Dealers in Die Einsamkeit der Baumwollfelder spielen soll. Die Regisseure haben sich in der letzten Zeit von solchen Zwängen frei gemacht, aber, da sich Erfolg und Scheitern die Waage halten, läßt sich nichts Allgemeingültiges daraus schlußfolgern. Der Versuch von Peter Stein, in Die Neger weiße Schauspieler die Posen und Rhythmen von afrikanischen Schauspielern nachstellen zu lassen, war vergebens und letztlich unpassend. Man konnte zwar den geglückten Nachahmungsversuch bewundern, aber das lenkte nur allzu oft von der zentralen Frage des Textes ab. Der außergewöhnliche Erfolg von Chéreau in der Rolle des Dealers in Die Einsamkeit der Baumwollfelder entkräftet dagegen das Gebot der Negritüde, das Koltès mit Hartnäckigkeit verfochten hat. Wie weitgehend kann man sich über die ethnische Festlegung, zu der einen der Text oder die Besetzung zwingen, hinwegsetzen? Wer sie systematisch ignoriert, läuft Gefahr, in eine undifferenzierte Vision der Körper, in einen ausschließlich existentialistischen Diskurs zu münden.

Das Vielfache als Prinzip

Die Großstadt erscheint mehr und mehr wie ein Konzentrat des Planeten. Die Stadt erweist sich als ein verschieden geartetes Milieu, ein Milieu mit variabler Identität, unrein. Brook hat dafür ein Gespür gehabt; in diesem Geist gründete er 1969 sein „Centre International des Recherches ThéÛtrales“. Sein Prinzip: ein Vielfaches. Er stellte eine Gruppe von Leuten zusammen, die zwar von überall her kamen, sich aber im gemeinsamen theatralischen Anliegen einig waren. Die Initiative verschrieb sich damals der 68er-Bewegung; auch das Living-Theatre, das Odin Teatret oder das Bread and Puppet Theatre erklärten die ethnische Durchmischung für reizvoll.

Was bei Brook zunächst nur die Zusammenstellung der Truppe betrifft, wird im Laufe der Zeit zu einem ästhetischen Prinzip. Während einer Tournee durch Afrika spielt die Gruppe immer auf dem Marktplatz. Sich dorthin zu begeben, ist für die Leute des Dorfes leichter, da er seiner Bestimmung nach ein Versammlungsort ist. Aber der öffentliche Platz definiert sich auch durch ein außerordentliches Angebot an Nahrungsmitteln und Gegenständen, die von Fremden feilgeboten werden. Der Platz, selbst unrein, vereint, ohne daß er die Unterschiede verwischen und die Vielfältigkeit beseitigen wollte. Im übrigen werden dort die unentbehrlichen Dinge des Lebens ausgetauscht, mit denen Brook sein Theater so gern in einem Atemzug nennt.

Bei Brook verbinden sich kommunitäre Utopie und archaisches Marktmodell. Auf der einen Seite die globale, auf der anderen die lokale Verschmelzung. Indem er sich auf diesen Zusammenhang beruft, versucht Brook sein Theater in einen lebendigen Kontext zu stellen, der die heutigen Gegebenheiten ebenso wie die antiken Gepflogenheiten in Rechnung stellt. Diese Arbeit hat Brook mittlerweile so weit fortentwickelt, daß er heute sein Ensemble in Hinblick auf eine bestimmte Vorlage weltweit zusammensucht. Mittels seiner Arbeitstechniken gelingt es ihm immer schnell, eine Gruppe zusammenzubringen und ihren Zusammenhalt zu sichern. Hierin zeigt sich seine Originalität: Er behandelt den Ausländer nicht als ein Element, das im Gegensatz zur Identität der anderen, des Gastlandes steht. Bei ihm ist der Ausländer von vornherein eine Gesamtheit, aus einer völlig disparaten Gruppe soll eine so harmonische Gruppe wie irgend möglich werden. Bei Brook gilt nicht das Prinzip des Einen, der durch den Anderen verunsichert wird, sondern das eines Vielfachen von Anfang an, das im Einssein einer Gruppe aufgehen soll, ohne die Unterschiede auszulöschen.

Im Ausland arbeiten

Bis auf einige wenige Ausnahmen gibt es für den Theatermenschen kein glückliches Exil. Der Schauspieler wird in seinem Gastland zeitlebens als unzureichend empfunden. Der Regisseur verliert seine Schauspieler, die ihm mit ihrer spezifischen Gestalt und Erscheinung gedient haben. Er erinnert an den Schriftsteller, der schmerzhaft aus seiner Sprache ausgesperrt ist; die Schauspieler sind die Sprache des Regisseurs. Ohne sie verspürt er immer einen Mangel, etwas fehlt ihm, das er einmal gehabt und auf immer verloren hat. Seit zwanzig Jahren läßt sich dies Experiment verfolgen: von Krejca über Ljubimow bis zu Pintilié, und immer produzierte es die gleiche Nostalgie. Wenn sie heute in ihre Heimatländer zurückkehren, dann auch, weil sie ihre Sprache zurückgewinnen wollen, den russischen, tschechischen oder rumänischen Schauspieler.

Dem ungewollten Exil der Regisseure aus Osteuropa entsprechen die freiwilligen Aufenthalte einiger Regisseure in Ländern ihrer Wahl. In diesen Fällen handelt es sich um eine begrenzte Zeitspanne, innerhalb derer man die Begegnung mit einem anderen Milieu sucht: um eine Erfahrung reicher. Man sucht nicht die Anpassung, sondern die Distanz, den Unterschied, um sich besser als der Andere definieren zu können, als jemand, der mit der neuen Umgebung eine „fremde“ Beziehung unterhält. Dennoch, damit überhaupt ein Dialog stattfinden kann, braucht es ein Minimum an Einverständnis.

In Paris verkörpert Brook den Vermittler. Sein Exil ist freiwillig gewählt, der Aufenthalt ist von längerer Dauer. Brook hat nicht versucht, sich anzupassen; aber um bleiben zu können, hat er das französische Theater verwandelt. Er hat in Paris gearbeitet, aber mit internationaler Perspektive. Er hat sich am Treffpunkt der Welt postiert. Aus der größtmöglichen Unterschiedlichkeit heraus hat er sich auf die Suche nach der ursprünglichen Einheit begeben, die eine so essentielle Sache ist, daß man nur durch die Erfahrung des Vielfachen dorthin gelangt. Jetzt nähert sich dieses Experiment seinem Ende, denn das Theater entwickelt sich, um dem weltweiten Zugriff der Medien zu entgegnen, wieder zu einer lokalen Kunst.

Bleibt eine letzte Frage: Wie kommt man zurück? Und wenn man zurückkommt, wie stellt man es an, daß die Erfahrung, die man woanders gesammelt hat, das eigene Theater belebt? Dieser Erfahrung müssen sich jetzt Andrej Serban in Bukarest, Krejca in Prag, Ljubimow in Moskau stellen. Sie müssen die Distanz überwinden, wieder anknüpfen. Der Fremde, der zurückkehrt, rechtfertigt seinen Weggang, wenn es ihm gelingt, den Dialog in Gang zu setzen, der die Erfahrungen in seiner Heimat und im Exil im Herzen seines Theaters bewegt.

Wir drucken diesen Vortrag, den Georges Banu auf einer Tagung der Europäischen Theaterkonvention zum Thema: Emigration und das Theater im November in Bologna hielt, in einer leicht gekürzten Fassung.

Aus dem Französischen von Sabine Seifert.

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